Der Kuss des Satyrs
Unterbrechung über seinen ganzen Handteller – er war ein Mann von außergewöhnlicher Selbstbeherrschung. Seine Herzlinie verriet seine Klugheit. Der Venushügel an der Wurzel seines Daumens war stark ausgeprägt. Er war ein vitaler, wohlhabender und hartnäckiger Mann.
Ihre Fähigkeiten als Wahrsagerin waren nicht völlig vorgetäuscht. Durch ihre Berührung konnte sie tatsächlich etwas über eine Person herausfinden, wenigstens genug, um den durchschnittlichen Kunden zufriedenzustellen.
Aber diese erstaunlichen Fähigkeiten, die sie mit dem Einsetzen der Pubertät entwickelt hatte, veränderten sich seit kurzem. In einigen Bereichen schwächten sie sich langsam ab, während sie in anderen stärker wurden. Ihre Fähigkeit, Menschen zu lesen, wurde mit jedem Vollmond weniger zuverlässig, und sie betete, dass sie sie jetzt nicht ganz verlassen würde.
Ein erleichterter Seufzer entfuhr ihr, als Nebel ihre Gedanken einhüllte und sie mit seiner Vertrautheit beruhigte. Sie schloss die Augen und ließ ihre Fingerspitzen über seinen Handteller wandern, folgte hier einer Linie und strich dort über einen Hügel. Sie benötigte kaum mehr als die feinste Vermischung ihres Schweißes, um die Zukunft vorherzusagen. Es war wichtig, dass sie nicht mit ihm verschmolz, denn wenn sie sich stärker an ihr Gegenüber band, verursachte ihr die Trennung oft Schmerzen.
»Ich sehe einen Wald«, begann sie. »Einen alten Wald. Er umgibt einen blühenden Garten, der sich über viele Hügel erstreckt. Ich sehe drei Brüder, drei außergewöhnliche Häuser.«
Sie schlug die Augen auf und betrachtete ihn neugierig. Nur Nick fiel auf, wie vornehm ihr Akzent geworden war.
»Signore Satyr besitzt gemeinsam mit seinen beiden jüngeren Brüdern ein großes Landgut in der Toskana«, steuerte Signorina Rossini bei. Ihre Stimme zitterte vor Aufregung darüber, dass Jane richtig gelegen hatte.
Jane lächelte sie an. Jetzt wusste sie, wie er hieß und wo er wohnte. Die Leute waren unglaublich freigebig mit Informationen. Manchmal erleichterte ihr das die Sache ungemein.
Nick betrachtete sie hämisch. »Meine Ländereien und meine Familie sind kein Geheimnis. Ihr werdet Euch noch etwas anstrengen müssen, damit Ihr Euer Geld wert seid.«
Wenn sie schlauer gewesen wäre, dann hätte sie einfach irgendeine lächerliche Zukunft für ihn erfunden und seine Hand so bald wie möglich losgelassen. Es war zweifelsohne das, was er erwartete. Aber der irrationale Wunsch, sich zu beweisen, stieg in ihr auf.
Sie senkte den Kopf und machte weiter.
»Ich sehe materiellen Reichtum. Macht. Leidenschaft.« Sie warf ihm einen Blick unter halbgesenkten Lidern zu. »Heimlichkeiten.«
Leichte Anspannung kroch ihm unter die Haut.
Signorina Rossini kicherte. »Leidenschaft! Gütiger Himmel! Und was könntet Ihr verbergen, Signore Satyr?«
Er bewegte die Hand, so dass sein Daumen zwischen Janes Ring- und kleinem Finger zu liegen kam und die zarte Haut dazwischen sanft massierte. War das Absicht?
Während Jane seine vollen Lippen anschaute, stürzten plötzlich absolut schockierende Bilder auf sie ein wie Wellen einer aufgepeitschten See. Sie sah ihn zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort. Er stand. Die Muskeln seines nackten Oberkörpers spielten im sanften Licht des Kerzenscheins. Oder war es Mondlicht? Er gab sich derb und wild, und seine Augen funkelten, als er intensiv etwas anstarrte. Es war eine Frau. Sie war vor ihm, beugte sich über eine Art Tisch. Was … was um alles in der Welt machte er da mit ihr?
Sie sog scharf die Luft ein, als ihr aufging, dass sie sich liebten. Errötend entzog sie ihm ihre Hand. Die Vision verließ ihren Geist, als sei eine Tür davor zugeschlagen worden.
Interesse flammte in seinem Blick auf.
Immer wieder wischte sie sich die Hände an ihrem Rock ab. Das war verrückt! Wie konnte sie nur auf die Idee kommen, so stark mit ihm zu verschmelzen? Was hatte sie davon, wenn er ihre Tarnung auffliegen ließ und sie an ihren Vater und ihre Tante verriet? Panisch begann sie, ihre Sachen zusammenzuräumen. Lieber verzichtete sie auf sein Geld.
»Ihr habt nur eine Mischung von obskuren Vermutungen geäußert und mir Dinge mitgeteilt, die ich bereits wusste. Was ist nun mit meiner Zukunft?«, wollte Nick wissen.
Es war unmöglich, ihm jetzt in die Augen zu sehen. Wenn er nun die Wahrheit in ihrem Blick erkannte? Wenn er sehen würde, was sie gesehen hatte? Dass sie ihn gesehen hatte, wie er
das
tat? Es war falsch, dass
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