Der Kuss des Satyrs
sie dazu, sich hinzusetzen.
Verlegen riss sie sich zusammen und blickte von ihrem Sitz auf. Auch er hatte Platz genommen und betrachtete sie stumm.
In der Hoffnung, seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken, fing sie an, die Kristallkugel auf dem Tisch zu streicheln. Obgleich sie die bei ihren Prophezeiungen nicht wirklich einsetzte, half sie doch dabei, die Leute glauben zu lassen, dass sie eine wahrsagende Zigeunerin war.
»Wie heißt Ihr, Medium?«, fragte Nick. Sie bemerkte, dass sein Italienisch einen leichten Akzent hatte, aber er schien sich der Sprache sehr sicher, und sie war höchstwahrscheinlich seine Muttersprache. Sein Englisch war flüssig, aber weniger selbstbewusst. Sie nahm an, dass er in England zur Schule gegangen war oder zumindest einen englischen Privatlehrer gehabt hatte. Der herrische Unterton seiner Stimme verriet, dass er es gewohnt war, dass seinen Wünschen entsprochen wurde, was wiederum den Schluss zuließ, dass er vermögend war.
»Jane«, antwortete sie.
Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Ein unverhohlen amüsierter Ausdruck lag in seinem Blick. »Jane, das Medium?«
Signorina Rossini sah irritiert aus. »Ich dachte, Euer Name sei Madame Fibbioni.«
»Jane sein mein Rufname«, erklärte Jane und fiel in das gebrochene Italienisch, das sie sich für diese Gelegenheiten antrainiert hatte.
»Also gut, Madame Jane Fibbioni«, sagte Nick. »Wie viel nehmt Ihr üblicherweise fürs Handlesen?«
Die Signorina antwortete an ihrer Stelle.
»Ich sagen nur einzeln Zukunft vorher«, verkündete Jane. Zu spät fiel ihr ein, die Stimme zu verstellen.
»Oh!«, machte Signorina Rossini. »Wenn das so ist, werde ich besser gehen.«
Jane atmete alarmiert ein. Sie konnte ihm nicht allein gegenübersitzen! Der Gedanke war einfach zu schrecklich.
Die Hand des Mannes legte sich über die der Signorina und hielt sie zurück. »Wartet einen Augenblick. Würde der dreifache Lohn Euch dazu bewegen, eine Ausnahme zu machen?«, fragte er Jane. Er legte das Geld auf den Tisch, direkt auf den mit billigen Perlen besetzten Schal, den sie darüber ausgebreitet hatte.
Jane starrte das Geld unschlüssig an.
»Laufen die Geschäfte so gut, dass Ihr es Euch erlauben könnt, ein solches Angebot auszuschlagen?«, bedrängte er sie.
Nein, das taten sie nicht. Mit einer raschen Handbewegung fegte sie die Münzen in die Geldbörse in ihrem Schoß.
»Ihr geht Risiko ein, indem Ihr Dame erlauben, Euer Zukunft zu hören«, warnte sie ihn. »Aber wenn dies Euer Wunsch, ich werde sehen, ob Geister willig.«
»Danke. Wir wollen uns gedulden, bis die Geister so weit sind, verehrtes Medium.«
»Ich nicht behaupten, ich Medium«, informierte sie ihn mit einem Kopfschütteln. »Ich einfache Handleserin.«
»Oh, macht Ihr zuerst«, ermunterte Signorina Rossini ihn. »Es ist sehr aufregend.«
Nick lächelte auf sie hinab.
Das hübsche Fräulein war eigentlich gar nicht der Typ für einen so kraftvollen Mann wie ihn, dachte Jane, und doch schien er von ihr vollkommen in den Bann geschlagen. Wenn er den Blick auf ihr ruhen ließ, trat ein Hunger in seine Augen, der selbst Jane eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Es war nicht weiter erstaunlich, dass die Signorina seinen schmeichelnden Worten verfallen war.
Aus der Ferne erklang das geheimnisvolle Geräusch von Wasser, das zur Erbauung der Gäste durch die Pfeifen der großen Wasserorgel im Garten gepresst wurde. Jane fummelte an den Bändern des Geldbeutels in ihrem Schoß herum. Sie scheute sich vor dem, was sie nun tun musste.
»Fangt damit an, indem Ihr Eure Hand in ihre legt«, erklärte Signorina Rossini.
»Wie Ihr wünscht.«
Er legte die Hand mit der Innenfläche nach oben auf den Schal direkt vor Jane. Irgendetwas an der Form dieser langen, eleganten Finger wirkte anziehend auf sie, schreckte sie jedoch gleichermaßen ab. Der blaue Puls auf der Innenseite seines Handgelenks pochte warm und kräftig; seine Vitalität war nicht zu übersehen.
Unter dem Tisch zog sie die Handschuhe hoch über ihre Handgelenke. Nur ihre Fingerspitzen durften ihn direkt berühren.
Dann beugte sie sich vor und legte ihre Finger in seinen Handteller. Als Reaktion zog er die Fingerspitzen an. Kleine Feuer schienen dort aufzulodern, wo er durch die Spitze hindurch die zarte Haut ihres Handgelenks berührte.
Verzweifelt tastete sie seine Handinnenfläche ab und rief mit aller Kraft die Bilder herbei, die sie brauchte. Seine Schicksalslinie zog sich ohne
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