Der Kuss des Verfemten
Ihr wollt, könnt Ihr zuschauen.«
»Ja?« Freudig blickte sie ihn an, doch dann schlug sie die Augen nieder. »Vielleicht sollte ich lieber bei Isabella bleiben. Sie wird sich ängstigen.«
Rudolfs Augen blitzten belustigt. »Sie wird sich nicht ängstigen, weil ihr niemand etwas zuleide tun wird. Dass sie in der Kammer bleiben soll, ist nur eine Vorsichtsmaßnahme, damit sie keine Torheiten begeht. Wäre sie so vernünftig wie Ihr, könnte sie sich auch in der Burg frei bewegen.«
»Ich werde versuchen, sie davon zu überzeugen. Ob ich mit Ritter Martin darüber sprechen könnte?«
Rudolf nickte. »Sagt mir Bescheid, wenn die Prinzessin es sich überlegt hat. Wir sprechen dann gemeinsam mit Martin.«
Mathilda blickte ihn dankbar an. »Ihr seid sehr freundlich, Ritter Rudolf. Ich danke Euch für alles, Eure netten Worte und dass Ihr aufgepasst habt, dass ich nicht vom Pferd falle …«
Er beugte sich zu ihr herunter. »Wenn Ihr möchtet, könnten wir ja mal gemeinsam ausreiten!«
Mathilda starrte ihn an, und sie spürte ihr Herz klopfen. »Ich … ich muss Isabella das Frühstück bringen. Entschuldigt mich!« Eilig lief sie davon. Rudolf blickte ihr lächelnd hinterher.
*
»Wo warst du so lange?«, wütete Isabella, als Mathilda das Frühstück in die Kammer brachte. »Wieso dauert es ein halbe Stunde, zwei Schüsseln mit Haferbrei zu füllen?«
Mathilda schluckte. »Die Küche besteht aus einer einzigen offenen Feuerstelle und einem Schilfdach. Es geht alles etwas langsam. Außerdem habe ich mit Ritter Rudolf gesprochen und um mehr Freiheiten für dich gebeten.«
»Wie kommst du dazu, ohne meinen ausdrücklichen Befehl um Gnade zu winseln? Ich will keine bevorzugte Behandlung! Soll dieser Raubritter etwa denken, ich sei nur ein schwaches Weib? Der soll sich wundern! Und vergiss nicht, dass du nur meine Zofe bist und meinen Befehlen zu gehorchen hast. Untersteh dich, noch einmal selbstständig zu denken oder gar zu handeln!«
Mathilda riss Augen und Mund auf. »Isabella!«, sagte sie fassungslos. »Was ist denn plötzlich mit dir los?«
»Was los ist? Ich bin so wütend, so verzweifelt! Ich hasse alle Menschen!«
»Auch mich? Aber du hast doch gesagt, ich sei deine Freundin, deine Schwester!«
»Hatte ich das? Was bist du für eine Schwester, die stundenlang über den Burghof spaziert und mich allein lässt? Du denkst nur an dich!«
»Aber Isabella!« Mathilda stand immer noch mit offenem Mund da. Doch plötzlich runzelte sie die Stirn und stellte das Tablett unwirsch aufs Bett. »Auch Ihr könntet über den Burghof spazieren, Hoheit, wenn Ihr Euch nur ein wenig zusammenreißen und den Dingen wie eine Prinzessin ins Angesicht sehen würdet. Aber Ihr benehmt Euch wie eine hysterische Ziege. Guten Appetit! Ich komme wieder, wenn Ihr Euch beruhigt habt, Hoheit! «
Die Tür fiel krachend zu. Auf dem Bett saß eine verblüffte und sprachlose Isabella.
*
»Wo ist sie???« Gundram brüllte, dass es in der ganzen Burg zu hören war. Der Burghof war menschenleer, alle hatten sich vor seinem Zornesausbruch schnell in Sicherheit gebracht. Einige Stühle gingen zu Bruch, mit dem Schwert drosch er in ohnmächtiger Wut auf dem Tisch im Rittersaal herum. »Ich schlage euch allen eure Holzköpfe ab, wenn ihr sie mir nicht sofort wieder herbeischafft!«
Seine Soldaten standen wie geprügelte Hunde vor ihm. »Wie konnte das passieren? Wieso konnte sie die Burg verlassen? Habt ihr denn alle geschlafen? Wer hatte Wache?«
Alle senkten die Köpfe. »Wer hatte Wache?«, schrie Gundram. Drei Männer traten vor. Dem ersten schlug er die Faust ins Gesicht, dem zweiten trat mit dem Fuß in den Bauch, den dritten streckte er mit dem Schwertknauf nieder. »Seid ihr nicht in der Lage, auf ein schwaches Weib aufzupassen? Auf wen kann ich mich hier noch verlassen?«, tobte er außer sich.
»Auf mich!«, antwortete eine ruhige Stimme von der Tür her. Gundram fuhr herum. Aus zusammengekniffenen Augen betrachtete er den seltsamen Fremden mit dem schmalen, sonnengebräunten Gesicht und den stechenden schwarzen Augen.
»Wer seid Ihr?«, fragte er schnaufend.
»Ein Gast Eurer schönen Burg«, erwiderte de Cazeville zurückhaltend. »Ich wurde zufällig Zeuge dieses kleinen … Vorfalls.«
»Kleiner Vorfall? Was habt Ihr gesehen?«
»Gesehen habe ich nichts, aber ich weiß trotzdem eine ganze Menge mehr als Ihr!« Sein Gesicht blieb aalglatt und gelassen.
»Haltet Ihr mich zum Narren?«, brüllte Gundram und stürmte mit
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