Der Kuss des Verfemten
Vergnügen in meinem Palast, schöne Isabella. Und er wird auch ein wenig dauern, Euer … Aufenthalt.«
»Was wollt Ihr damit sagen?«, begehrte Isabella auf.
»Nun, dass Ihr für eine Weile mein Gast sein werdet.«
»Ich denke gar nicht daran. Ich habe nicht den Wunsch, Eure Gesellschaft zu genießen.« Angewidert wandte Isabella sich ab. Martin lächelte liebenswürdig und vollführte eine einladende Bewegung mit den Armen. »Euch wird gar nichts anderes übrig bleiben. Ihr seid meine Geisel!«
*
Die Burgruine war sehr alt. Einzig die Mauer mit dem Wehrgang und dem Rest eines Wachturmes bestand aus massivem Stein. Ein Wohnturm war verfallen und bereits bis zum unteren Stockwerk abgetragen. In den verbleibenden Räumen hausten die Burgbewohner mehr schlecht als recht. Die Innengebäude bestanden nur aus Lehm und Fachwerk, die Dächer waren mit Schilf und Ried gedeckt. Das stabilste Gebäude davon war der Pferdestall. Daneben erstreckte sich das ebenerdige Haupthaus, dessen größten Teil der Rittersaal einnahm. Es war eine schmucklose Halle, über deren gesamte Länge sich eine grob gezimmerte Tafel zog, flankiert von zwei Bankreihen. Keine Fahnen, Wappen, Teppiche oder Wandgemälde schmückten den Raum. Dahinter schloss sich ein Anbau mit zwei Räumen an, die als Lager genutzt wurden. Einige Männer waren dabei, eines der Lager zu räumen.
Martin führte Isabella und Mathilda durch einen engen Gang zwischen Rittersaal und den Kammern hindurch. Es roch unangenehm nach saurem Bier und eingelegtem Kraut. Isabella rümpfte die Nase. Da war ja Gundrams Verlies noch komfortabler.
»Hier werdet Ihr bleiben, Prinzessin! Leider kann ich Euch nicht mehr Luxus bieten, mehr hat man mir nicht gelassen.« Seine Stimme klang wieder sarkastisch und erinnerte mit keinem Ton mehr an den sanften, angenehmen Bariton des Sängers auf ihrem Fest.
Isabella blickte sich in dem leeren Raum um. »In Gundrams Kerker hatten wir wenigstens eine Pritsche zum Schlafen«, bemerkte sie gereizt.
»Wir werden sehen, ob wir noch irgendwelche alten Möbel auftreiben können, damit Ihr Euer luxuriöses Leben nicht gar zu sehr vermisst«, erwiderte Martin und verließ die Kammer. Ein Riegel schnappte zu. Sie waren wieder gefangen!
Für einen Augenblick starrte Isabella auf die Tür, dann tobte sie mit hochrotem Kopf und erhobenen Fäusten. »Was bildet sich dieser Räuber ein? Ich werde ihn höchstpersönlich am nächsten Baum aufknüpfen lassen! Er befreit mich aus Gundrams Kerker, um mich als Geisel zu nehmen? Bin ich denn für alle Männer nur ein Pfand zum Tauschen? Oh, wie ich sie hasse! Und dieser Martin mit seinen himmelblauen Augen ist nichts weiter als ein gewöhnlicher Räuber, Mörder, Ehrloser! Wie konnte ich nur so dumm sein und glauben, er wäre etwas Besonderes? Wie eine Schlange hat er sich verstellt, den edlen Ritter gespielt, den schmachtenden Troubadour, den verliebten Gockel! Alles Lüge! Er wollte mich als seine Geisel!«
Sie schrie, tobte, weinte, fluchte, dann ließ sie sich kraftlos in eine Ecke der Kammer auf den Fußboden sinken und schluchzte.
Mathilda blickte sie scheu und mitleidig an. Es musste eine gewaltige Enttäuschung für Isabella gewesen sein. Ihr Traum vom silbernen Ritter war zerplatzt wie eine wassergefüllte Schweineblase. Und nun saß sie da wie eine Jammergestalt in ihrem zerrissenen und verschmutzten goldenen Kleid, mit zerzaustem Haar und schmutzigem Gesicht. Von der stolzen, edlen Isabella war nicht viel übrig geblieben.
»Vielleicht solltest du seine Beweggründe zu verstehen versuchen«, warf sie schüchtern ein.
»Verstehen?«, schnaubte Isabella. »Dass er mich hier gefangen hält in einer Kammer, die kaum für eine Dienstmagd angemessen wäre?«
Mathilda fühlte sich völlig hilflos, zumal sie selbst keineswegs verzweifelt war. Doch schließlich war sie immer noch Isabellas Zofe, ihre Freundin, Vertraute, Schwester. Und trotzdem fühlte sie einen kleinen Riss in ihrer bis dahin so unverbrüchlichen Treue zu Isabella. Was war geschehen?
Sie kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, denn die Tür wurde geöffnet, und mehrere Männer versuchten vergeblich, ein sperriges Bett durch die kleine Türöffnung zu bugsieren. Sie schnauften und fluchten, dann trat einer kurzerhand mit dem Fuß gegen das Bettgestell, dass es krachend auseinanderfiel. Die Trümmer zerrten sie in die Kammer und hämmerten sie flüchtig wieder zusammen. Zwei Mägde brachten eine Matratze und Stoffbahnen, mit
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