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Der Kuss des Werwolfs - 1

Der Kuss des Werwolfs - 1

Titel: Der Kuss des Werwolfs - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabell Alberti
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Hände tief im Muff vergraben, ging vorbei an Rosen-und Ligusterhecken sowie an zu Kugeln oder schlanken Säulen geschnittenen Sträuchern. Sie durchquerte ein Geviert von Beeten, die mit wadenhohen Buchsbaumhecken eingefasst waren und in denen dürres Gestrüpp stand, von dem sie nicht wusste, welche Blumen daraus werden sollten. An jeder Seite des Gevierts standen zwei Bänke; doch zum Hinsetzen war es ihr zu kalt.
    Sie kuschelte sich tiefer in den Umhang und ging in Richtung See. Je weiter sie sich von der Burg entfernte, desto verwunschener wurde der Garten, die Kieswege wurden zu Trampelpfaden, die stellenweise fast zugewuchert waren von wilden Rosen oder Brombeerhecken. Nola schob sich durch das Gestrüpp, drehte sich dann um und warf einen Blick zurück auf Shavick Castle. Auf dieser Seite gab es nur wenige kleine Fenster, Schießscharten ähnlich. Shavick Castle sah grau und abweisend aus, aber nicht wie eine Ruine, nicht wie im Juli 2010. Nicht so, wie sie es gesehen hatte, als — ja wann eigentlich?
    Nola überlegte, wie es möglich sein konnte, dass jetzt erst das Jahr 1818 sein sollte. Das waren beinahe zweihundert Jahre Unterschied. Sie lehnte sich an die raue Rinde eines blattlosen Baums. Das würde bedeuten, sie wäre durch die Zeit gereist. Unmöglich - schon das Wort klang lächerlich. So etwas passierte in Hollywoodfilmen oder Romanen. In der Wirklichkeit gab es das nicht. Sie schaute wieder zur Burg, deren jetziger Zustand ihre Vernunft Lügen strafte: Ihre Augen sagten etwas anderes als ihr Verstand. Es war das Jahr 1818, und sie hatte eine Zeitreise gemacht!
    Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als Rhodry mit federnden Schritten zum Gärtner trat, der in einigem Abstand eine Hecke schnitt, und ein Gespräch mit ihm anfing. Nola überlegte gerade, ob sie sich bemerkbar machen sollte, als sie Amelia entdeckte, die den beiden entgegenkam. Ihre Röcke wehten, und gegen die Kälte hatte sie sich ein dickes Tuch um die Schultern geschlungen. Aus ihrer strengen Frisur hatten sich ein paar Strähnen gelöst und ließen sie sehr jung und sehr hübsch aussehen. Sie knickste vor Rhodry und begann danach sofort, eifrig auf ihn einzureden. Nola wagte sich noch ein wenig näher; eine Rosenhecke verbarg sie. Sie hörte Amelia öfter das Wort »Mylord« sagen. Der Gärtner wandte sich wieder seiner Arbeit zu und Amelia redete noch eifriger auf Rhodry ein, legte ihm sogar eine Hand auf den Arm. Er war gut eineinhalb Köpfe größer als die zierliche Schottin und sah lächelnd auf sie herunter. Nola wusste nicht warum, aber sie fühlte einen Stich in der Brust. Die beiden wirkten so vertraut miteinander, und ihre Hand lag immer noch auf seinem Arm, als sie zurück zur Burg gingen.
    Nola setzte sich auf eine verwitterte Steinbank, die halb versteckt in einer Rosenhecke stand. Was hatte das zu bedeuten — lief etwas zwischen Rhodry und Amelia? Das Mädchen war zierlich und hübsch mit ihren dunklen Locken, und jeden Tag ihres Lebens mit Rhodry zusammen gewesen. Wie sollte er da nicht ihren Reizen erliegen?
    Und Nola … sie war allein in dieser fremden Welt gefangen, kannte die Spielregeln des Jahres 1818 nicht, und die der Werwölfe gleich gar nicht. Ob sie zu Hause jemand vermissen würde? Ihre Eltern, ihr jüngerer Bruder, Violet? War sie einfach nicht mehr da, als hätte es sie nie gegeben oder galt sie als vermisst? Hatten ihre Eltern versucht, sie anzurufen?
    Nola zog den Umhang dichter um sich und überließ sich düsteren Gedanken. Mit einer Hand fischte sie ihr Mobiltelefon aus einer Tasche ihrer Jeans. Das kleine Gerät war noch an, der Akku noch halb voll. »Kein Netz«, stand auf dem Display, dennoch suchte sie im Telefonbuch die Nummer ihrer Mutter. Das Gerät wählte, und dann war es einfach tot. Niemand sagte: »Die gewählte Nummer ist momentan nicht erreichbar.« Es wäre ja auch zu schön gewesen, wenn man aus dem Jahr 1818 im Jahr 2010 anrufen könnte, obwohl es keine Funkmasten gab. Der letzte Funke Hoffnung in Nola erlosch. So irrational die Idee auch war, insgeheim hatte sie sich gewünscht, die Stimme ihrer Mutter zu hören, die ihr sagte, dass alles wieder gut werden würde. Sie schaltete das nutzlose Handy aus.
    Inzwischen hatte es zu nieseln begonnen. Nola bemerkte es erst, als der Regen feucht durch ihren Umhang drang. Die Sonne war weit nach Westen gewandert. Noch nie hatte sie sich so einsam, verloren und hilflos gefühlt. Sie war gefangen in einer fremden Zeit, unter fremden Kreaturen.

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