Der Kuss des Werwolfs - 1
weilte, gerüchteweise hatten sie sicher auch von einer Seelenpartnerin gehört. Alle warteten auf ihn — Rhodry hatte ein Talent für große Auftritte und den richtigen Augenblick.
Endlich kam er. Eugene hörte ihn zwar nicht, spürte ihn sich aber nähern und gab die Tür frei. Rhodry Monroes Auftritt wurde wahrlich großartig. Er trug silberfarbene Kniebundhosen, ein weißes Hemd und ein zu einem Wasserfall gebundenes Halstuch. Die schwarze Weste und der gleichfarbige Rock waren mit silbrigen Fäden bestickt, Blüten und Ranken ergossen sich wie im Mondlicht über den Stoff. Es war eine Balltoilette, und der Alpha der Schottlandwerwölfe war einer der wenigen, die es wagten, Silber zu tragen.
Alle Gespräche verstummten, als Rhodry den Raum betrat. Er schob sich durch die Menge wie ein Boot durch die Wellen, klopfte hier eine Schulter, tätschelte dort eine Wange. Er war der geborene Alphawolf. Nachdem er jeden begrüßt hatte, stellte er sich auf eine Empore, wo wahrscheinlich früher die Priester gepredigt hatten. Alle Gesichter wandten sich ihm zu.
»Freunde, Mitglieder des Schottlandrudels, ich bin wieder unter euch. Ich bin befreit worden und zurückgekommen von einem Ort außerhalb der Zeit. Derenski und das Krakauer Rudel werden für das bezahlen, was sie mir und damit auch euch angetan haben.«
Bei der Erwähnung des Polen bleckten die Werwölfe die Zähne. Mit einem Wink brachte Rhodry sie zum Verstummen.
»Unsere Rache wird schnell und gnadenlos über sie kommen. Ihre Tage sind gezählt, aber wir gehen überlegt vor. Das Schottlandrudel lässt sich nicht vom Hass regieren, das ist unsere Stärke, und damit werden wir Derenski zwingen, uns seine Kehle zu zeigen.«
Zustimmung brandete auf, und Rhodry wartete, bis wieder Ruhe eingekehrt war. »Ich habe meine Seelenpartnerin gefunden — sie ist diejenige, die mich zurückgeholt hat. Sie ist eine Menschenfrau und an unsere Art nicht gewöhnt. Einige haben sie schon gesehen oder von ihr gehört, Eleonore McDullen. Ihr wird kein Haar gekrümmt, und sie wird mit dem gleichen Respekt behandelt wie ich.«
Diesmal unterbrach ihn lauter Beifall. Seinen Seelenpartner zu finden, bedeutete für einen Werwolf das größte Glück. In den Beifall mischte sich aber auch Wehmut, weil die Seelenpartnerin eine Menschenfrau und damit sterblich war. Sie konnte Rhodry nur für die Dauer eines Menschenlebens begleiten, und er wäre für den Rest seines Daseins allein, denn einen Seelenpartner konnte ein Werwolf nur einmal finden. Die Menschin müsste sich zum Werwolf wandeln lassen, um ihn für immer zu begleiten; zu diesem Schritt entschieden sich aber nur wenige Menschen.
Wieder wartete Rhodry, bis der Beifall verebbte. »Wir werden sie willkommen heißen und dazu einen Ball veranstalten. Ich habe bereits Einladungen an die Mitglieder unseres Rudels gesandt, die nicht auf Shavick Castle oder in der Nähe leben. Es sollen alle dabei sein.«
Dieses Mal brandete wahrer Jubel auf. Ein Ball war nach dem Geschmack der Werwölfe. Bei dieser Gelegenheit könnten sie die Menschenfrau kennenlernen — sie brannten darauf.
»Außerdem«, verschaffte Rhodry sich Gehör, »müssen wir uns um Derenski kümmern. Wir müssen ihn wissen lassen, dass ich wieder das Rudel anführe. Das wird ihn herlocken.«
»Ich übernehme das,« meldete sich ein Werwolf namens Malcolm. Niemand fragte, was er vorhatte, und er sagte auch nichts weiter dazu. Rhodry vertraute ihm.
Seine Gedanken waren schon wieder bei Nola. Sie musste geschützt werden. Derenski durfte sie nicht in die Finger kriegen. Er sehnte sich danach, sie zu sehen, sie zu berühren. Am liebsten würde er in ihr Zimmer stürmen, ihre Lust wecken, und sie lieben, bis sie ihn anflehte, sie zur Werwölfin zu machen.
Eugene blickte in seine Richtung, und ihre Blicke trafen sich. Am Schmunzeln des Freundes erkannte Rhodry, dass er die Richtung seiner Gedanken erraten hatte. Früher hätte der Earl sich geärgert, dass er so leicht zu durchschauen war, aber heute war er gelassen. Es hieß nicht umsonst, dass ein Seelenpartner einen Werwolf sanfter machte, ihn mehr an den anderen als an sich selbst denken ließ. Es musste wohl stimmen, denn er dachte schon wieder an Nola. Diesmal waren seine Gedanken nicht ganz so angenehm, denn sie würde es wohl nicht dulden, dass er heute Nacht zu ihr kam. Ihre erste Begegnung war nicht sehr glücklich verlaufen, und er wusste noch keinen Weg, wie er ihr Herz gewinnen konnte. Dass es ihm gelingen
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