Der Landarzt (German Edition)
hätte ändern können. Ich war in grenzenloser Verzweiflung. Anfangs versuchte ich den Sturm zu beschwören; meine Briefe wurden aber uneröffnet zurückgeschickt. Als alle menschlichen Mittel erschöpft worden waren, als Vater und Mutter dem Alten, dem Urheber meines Unglücks, erklärt hatten, daß sie sich ewig weigern würden, ihre Tochter einem Manne zu geben, der sich den Tod einer Frau und das Leben eines natürlichen Kindes vorzuwerfen hätte, selbst wenn Évelina sie auf den Knien anflehen würde, da, mein Herr, blieb mir nur noch eine einzige Hoffnung, die schwach war wie ein Weidenzweig, an den sich ein Unglücklicher, der ertrinkt, anklammert. Ich wagte zu glauben, daß Évelinas Liebe stärker als die väterlichen Entschlüsse sei, und daß sie die Unbeugsamkeit ihrer Eltern besiegen werde. Ihr Vater konnte ihr die Gründe der Abweisung, die unsere Liebe tötete, verborgen haben, ich wollte, daß sie mein Los in Kenntnis der Sachlage entscheide, ich schrieb ihr. Ach!, mein Herr, unter Tränen und Schmerz, nicht ohne Augenblicke grausamen Zögerns, schrieb ich den einzigen Liebesbrief, den ich jemals geschrieben habe. Heute weiß ich nur noch undeutlich, was mir die Verzweiflung diktierte; zweifelsohne sagte ich meiner Évelina, daß sie, wenn sie wahr und aufrichtig gewesen sei, immer nur mich lieben könne und müsse. Wäre ihr Leben nicht verfehlt, wäre sie nicht dazu verurteilt, ihren künftigen Gatten oder mich zu belügen, würde sie nicht des Weibes Tugenden verraten, wenn sie ihrem verkannten Geliebten dieselbe Aufopferung verweigerte, die sie für ihn aufgewendet haben würde, wenn die in unserem Herzen vollzogene Heirat feierlich begangen worden wäre? und welche Frau würde sich nicht lieber durch die Versprechungen des Herzens als durch die Ketten des Gesetzes gebunden fühlen? Ich rechtfertigte meine Fehler, indem ich mich auf alle Reinheiten der Unschuld berief, ohne etwas zu vergessen, was eine vornehme und edelmütige Seele zu rühren vermochte ... Da ich Ihnen alles gestehe, will ich Ihnen die Antwort und meinen letzten Brief holen,« sagte Benassis und ging hinaus und in sein Zimmer hinauf. Er kehrte bald zurück und hielt eine abgenutzte Brieftasche in der Hand, der er nicht ohne tiefe Bewegung ungeordnete Papiere entnahm, die in seinen Händen zitterten.
»Hier ist der verhängnisvolle Brief,« sagte er. »Das Kind, das diese Buchstaben schrieb, wußte nicht, wie wichtig mir das Papier, das seine Gedanken enthält, sein würde ... Hier«, fuhr er, einen anderen Brief zeigend, fort, »ist der letzte Schrei, der mir durch meine Leiden abgezwungen wurde, und Sie werden sofort darüber urteilen können. Mein alter Freund überbrachte meinen Bittbrief, händigte ihn im geheimen ein, demütigte seine weißen Haare, indem er Évelina ihn zu lesen und zu beantworten bat, und hier ist, was sie mir schrieb.
›Mein Herr!‹
Mich, der ich unlängst ihr ›Lieber‹ war, ein keuscher Name, der von ihr gebraucht wurde, um eine keusche Liebe auszudrücken, nannte sie: mein Herr! ... Die beiden Worte sagten mir alles. Doch hören Sie den Brief:
›Es ist sehr schmerzlich für ein junges Mädchen, an dem Manne, dem ihr Leben anvertraut werden sollte, Unwahrheit zu entdecken; nichtsdestoweniger habe ich Sie entschuldigen müssen, wir sind ja so schwach! Ihr Brief hat mich gerührt, doch schreiben Sie mir nicht mehr, Ihre Schrift verursacht mir Aufregungen, die ich nicht ertragen kann. Wir sind für immer getrennt worden. Die mir von Ihnen angegebenen Gründe haben mich berückt, sie haben das Gefühl erstickt, das sich in meiner Seele gegen Sie erhoben hatte; es war mir ein so lieber Gedanke, Sie rein zu wissen! Sie und ich aber sind vor meinem Vater als zu schwach befunden worden! Ja, mein Herr, ich habe zu Ihren Gunsten zu sprechen gewagt. Um meine Eltern inständig zu bitten, mußte ich die größten Aengste, die mich je erregt hatten, überwinden und meine Lebensgewohnheiten beinahe Lügen strafen. Jetzt gebe ich abermals Ihren Bitten nach und mache mich schuldig, indem ich Ihnen ohne meines Vaters Wissen antworte; meine Mutter aber weiß es; ihre Nachsicht, als sie mich einen Augenblick allein mit Ihnen ließ, hat mir bewiesen, wie sehr sie mich liebt, und mich in meiner Ehrfurcht vor dem Willen meiner Familie bestärkt, die zu verkennen ich auf dem besten Wege war. Auch schreibe ich Ihnen zum ersten und zum letzten Male, mein Herr. Ohne Hintergedanken verzeihe ich Ihnen das Unglück, das
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