Der Landarzt (German Edition)
sein, meine neuen Werke damit zu beginnen, meine Seele von allem schlechten Gärungsstoffe nicht zu reinigen? Leben Sie denn wohl, Sie, das einzige Herz, das ich auf dieser Welt liebe, und aus dem ich vertrieben worden bin! Niemals wird ein Lebewohl mehr Gefühle noch mehr Zärtlichkeit in sich begriffen haben; führt es nicht eine Seele und ein Herz mit sich fort, die wiederzubeleben in keines Menschen Macht steht? ... Leben Sie wohl. Ihnen der Friede, mir alles Unglück!'
Als diese beiden Briefe gelesen worden waren, blickten Genestas und Benassis einander einen Augenblick an, eine Beute trauriger Gedanken, die sie sich nicht mitteilten.
»Nachdem ich diesen letzten Brief abgeschickt hatte, dessen Konzept, wie Sie sehen, aufgehoben wurde, und der für mich heute alle meine, freilich welken Freuden bildet,« fuhr Benassis fort, »überkam mich eine unaussprechliche Mutlosigkeit. Die Bande, die einen Menschen hienieden an die Existenz knüpfen können, fanden sich in dieser keuschen, fortan verlorenen Hoffnung vereinigt. Ich mußte den Wonnen der erlaubten Liebe Lebewohl sagen und die edelmütigen Gedanken, die auf meines Herzens Grunde blühten, verdorren lassen. Die Gelübde einer reuigen Seele, die es nach dem Schönen, Guten und Ehrbaren dürstete, waren von wirklich frommen Menschen zurückgewiesen worden. Im ersten Augenblicke, mein Herr, wurde mein Gemüt von den tollsten Entschlüssen bewegt; glücklicherweise aber bekämpfte sie der Anblick meines Sohnes. Da fühlte ich meine Liebe zu ihm durch all die Unglücksfälle, deren unschuldige Ursache er war und die ich mir allein vorzuwerfen hatte, wachsen. Er wurde also mein ganzer Trost. Mit vierunddreißig Jahren konnte ich noch hoffen, meinem Vaterlande auf edle Weise nützlich zu sein; ich entschloß mich, ein berühmter Mann zu werden, um durch Ruhm oder im Glanze der Macht den Makel auszulöschen, der meines Sohnes Geburt anhaftete. Wie viele schöne Gefühle schulde ich ihm, und wie hat er mich dem Leben erhalten während der Tage, da ich mich mit seiner Zukunft beschäftigte! – Ich ersticke!« rief Benassis. »Nach elf Jahren kann ich noch nicht an jenes unselige Jahr denken ... Dies Kind, mein Herr, habe ich verloren!«
Der Arzt schwieg und verbarg das Gesicht in seinen Händen, die er sinken ließ, als er sich wieder etwas beruhigt hatte. Nicht ohne Bewegung sah Genestas die Tränen, welche seines Gastgebers Augen feuchteten.
»Dieser Blitzschlag, mein Herr, entwurzelte mich zuerst,« fuhr Benassis fort. »Ich sammelte die Einsichten einer gesunden Moral erst wieder, nachdem ich mich in einen anderen Boden wie den der geselligen Welt verpflanzt hatte. Erst später erkannte ich Gottes Hand in meinen Unglücksfällen, und später wußte ich mich zu bescheiden, indem ich auf seine Stimme hörte. Meine Resignation konnte nicht plötzlich eintreten, mein überspannter Charakter mußte wieder zu sich kommen; ich verschwendete die letzten Flammen meiner Aufwallung in einem letzten Sturme; lange zauderte ich, ehe ich den einzigen Entschluß, der sich für einen Katholiken zu fassen ziemt, wählte. Anfangs wollte ich mich töten. Da alle diese Ereignisse die Schwermut in mir in maßloser Weise entwickelt hatten, entschied ich mich kalt für solch einen Verzweiflungsakt. Ich wähnte, es sei uns erlaubt, das Leben zu verlassen, wenn das Leben uns verließe. Der Selbstmord schien mir natürlich zu sein. Kümmernisse müssen in der Menschenseele die nämlichen Verheerungen anstiften wie äußerster Schmerz sie in seinem Körper verursacht; also hat das an einer moralischen Krankheit leidende intelligente Wesen wohl das Recht, sich ebenso wie das Schaf zu töten, das von der Drehkrankheit gequält sich den Schädel an einem Baume einrennt. Sind die Leiden der Seele denn leichter zu heilen als körperliche? Ich zweifle noch daran. Ich weiß nicht, wer von beiden der feigste ist: der immer hofft oder der nicht mehr hofft. Der Selbstmord schien mir die letzte Krise einer moralischen Krankheit zu sein, wie der natürliche Tod die einer physischen ist; muß aber, da das moralische Leben den besonderen Gesetzen des menschlichen Willens unterworfen ist, seine Beendigung nicht mit den Aeußerungen der Intelligenz übereinstimmen? Darum tötet ja der Gedanke und nicht die Pistole. Spricht übrigens der Zufall, der uns im Augenblick zu Boden schlägt, wo das Leben ganz glücklich ist, nicht den Menschen frei, der sich weigert, ein unglückliches Leben zu führen? Die
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