Der Landarzt (German Edition)
Leben geworden; aber er fürchtet auch den Tod nicht! Er ist ein tiefer Philosoph, ohne es zu ahnen. Dieser alte Vater Moreau hat mich auf den Gedanken gebracht, hier im Bezirke ein Siechenhaus für die Tagelöhner, für die Arbeiter, kurz für die Landleute zu gründen, die, nachdem sie ihr liebes, langes Leben über gearbeitet haben, ein ehrbares und armes Alter erreichen. Mein Herr, ich rechnete nicht auf das Vermögen, das ich erworben habe, und das für mich persönlich zwecklos ist. Für einen von der Höhe seiner Hoffnungen herabgestürzten Mann bedeutet es nichts. Das Leben der Müßiggänger ist das einzige, das teuer zu stehen kommt, vielleicht ist es sogar ein sozialer Diebstahl, zu verzehren, ohne etwas hervorzubringen. Als Napoleon von den Diskussionen hörte, die sich nach seinem Sturze in bezug auf seine Pension erhoben, erklärte er, nur ein Pferd und einen Taler täglich nötig zu haben. Als ich hierherkam, hatte ich auf das Geld verzichtet. Seitdem hab' ich erkannt, daß das Geld Kräfte repräsentiert und notwendig wird, um Gutes zu tun. Testamentarisch hab' ich daher mein Haus zu einem Siechenheim bestimmt, wo unglückliche, asyllose Greise, die weniger stolz als Moreau sein werden, ihre alten Tage verbringen können. Dann wird ein bestimmter Teil der neuntausend Franken Rente, die mir meine Ländereien und meine Mühle einbringen, dazu bestimmt werden, in zu harten Wintern wirklich notdürftigen Leuten eine häusliche Hilfe zu gewähren. Diese Anstalt wird von dem Magistrat, dem sich der Pfarrer als Präsident zugesellen soll, überwacht werden. Auf diese Weise wird das Vermögen, das der Zufall mich in diesem Bezirk finden ließ, in der Gemeinde bleiben. Die Bestimmungen dieser Stiftung sind in meinem Testament fixiert worden; sie Ihnen näher anzugeben, würde Sie langweilen, es genügt, Ihnen zu sagen, daß ich alles dort vorgesehen habe. Sogar einen Reservefonds hab' ich geschaffen, der die Gemeinde eines Tages in die Lage versetzen muß, Kindern, die zu Hoffnungen auf dem Gebiete der Künste und Wissenschaften berechtigen, mehrere Freistellen zu bezahlen. So wird selbst nach meinem Tode mein Zivilisationswerk sich fortsetzen. Sehen Sie, Rittmeister Bluteau, wenn man eine Arbeit angefangen hat, so ist irgend etwas in uns, was uns treibt, sie nicht unvollkommen zu lassen. Dies Ordnungs- und Vollendungsbedürfnis ist eines der evidentesten Zeichen einer zukünftigen Bestimmung ... Jetzt wollen wir schnell zureiten, ich muß meine Runde beenden und hab' noch fünf oder sechs Kranke zu besuchen.«
Nachdem sie einige Zeit über stillschweigend getrabt waren, sagte Benassis lachend zu seinem Gefährten:
»Donnerwetter, Rittmeister Bluteau, Sie bringen mich wie einen Häher zum Schwatzen und erzählen mir nichts aus Ihrem Leben, das interessant sein dürfte. Ein Soldat Ihres Alters hat zu viele Dinge gesehen, als daß er nicht mehr als ein Abenteuer zu erzählen hätte.«
»Und doch ist mein Leben«, erwiderte Genestas, »das übliche Heeresleben. Alle Soldatengesichter ähneln sich. Da ich niemals befehligte und immer nur einen Rang eingenommen habe, in dem man Säbelhiebe empfängt oder austeilt, hab' ich getan, was die anderen taten: Bin dahin gegangen, wohin Napoleon uns geführt, und habe alle Schlachten mitgemacht, wo die kaiserliche Garde sich geschlagen hat. Das sind allzu bekannte Ereignisse. Sich um seine Pferde kümmern, manchmal Hunger und Durst leiden, sich schlagen, wenn's sein muß, das ist das ganze Soldatenleben. Ist das nicht höchst einfach? Es gibt Schlachten, die für uns in nichts weiter wie einem Pferde bestehen, das sein Eisen verloren hat und uns in der Tinte sitzen läßt. Alles in allem habe ich so viele Länder gesehen, daß ich mich daran gewöhnt habe, deren zu sehen, und ich hab' so viele Tote gesehen, daß ich mein eigenes Leben schließlich für nichts achtete.«
»Indessen haben Sie persönlich doch in gewissen Augenblicken in Gefahr schweben müssen; würden diese eigenen Gefahren, wenn Sie sie erzählen, nicht interessant sein?«
»Vielleicht,« antwortete der Major.
»Schön, sagen Sie mir, was Sie am tiefsten erschüttert hat. Haben Sie keine Angst, ich werd' nicht glauben, daß es Ihnen an Bescheidenheit fehlt, selbst wenn Sie mir eine heroische Tat erzählen würden. Wenn ein Mensch ganz sicher ist, von denen, welchen er sich anvertraut, verstanden zu werden, muß er ein gewisses Vergnügen darin finden, zu sagen: ›Das hab' ich getan.‹«
»Gut, ich
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