Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Landarzt (German Edition)

Der Landarzt (German Edition)

Titel: Der Landarzt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
will Ihnen eine Einzelheit erzählen, die mir manchmal Gewissensbisse macht. Während der fünfzehn Jahre, die wir uns herumgeschlagen haben, ist's nicht ein einziges Mal dahin gekommen, daß ich, außer im Falle berechtigter Verteidigung, einen Menschen getötet habe. Wir sind in der Schlachtlinie, wir greifen an; wenn wir die uns Gegenüberstehenden nicht zurückwerfen, fragen sie uns nicht um Erlaubnis, uns umzubringen; also muß man töten, um nicht vernichtet zu werden, und das Gewissen ist ruhig. Doch, mein lieber Herr, es ist mir einmal begegnet, daß ich einem Kameraden in einem besonderen Falle das Kreuz eingeschlagen habe. Wenn ich darüber nachdenke, bereitet die Sache mir Qual und das verzerrte Gesicht jenes Menschen steht mir manchmal vor Augen. Sie mögen darüber urteilen ... Es war auf dem Rückzuge von Moskau. Wir glichen mehr einer abgetriebenen Rinderherde als einer großen Armee. Disziplin und Fahnen bedeuteten nichts mehr! Jeder war sein eigener Herr und der Kaiser hat damals, das kann man sagen, erfahren, wo seine Macht endigte. Als wir in Studzienka, einem kleinen Dorfe oberhalb der Beresina, anlangten, fanden wir dort Scheunen, Hütten, die wir als Brennmaterial verwenden konnten, eingegrabene Kartoffeln und Runkelrüben. Seit einiger Zeit waren wir weder Häusern noch Fraß begegnet: die Armee hat flott gelebt. Die zuerst Gekommenen haben, wie Sie sich denken können, alles aufgefressen. Ich bin als einer der letzten angekommen. Zu meinem Glücke hatte ich weder Hunger noch Schlaf. Ich erblicke eine Scheune, gehe hinein, sehe dort etwa zwanzig Generäle, höhere Offiziere, alles, ohne ihnen zu schmeicheln, Männer von großem Verdienst: Junot, Narbonne, des Kaisers Adjutant, kurz, die berühmten Häupter der Armee. Auch einfache Soldaten gab es dort, die ihr Strohlager keinem Marschall von Frankreich würden abgetreten haben. Die einen schliefen im Stehen, aus Platzmangel, gegen die Wand gelehnt, die anderen lagen auf dem Boden ausgestreckt, und alle hatten sich so fest aneinandergedrückt, um sich warmzuhalten, daß ich vergebens eine Ecke suchte, um mich dort unterzubringen. Als ich über diese Menschendiele ging, schimpften die einen, die anderen sagten nichts, doch niemand ließ sich stören. Man würde sich nicht haben stören lassen, um einer Kanonenkugel aus dem Wege zu gehen, war dort aber nicht genötigt, die Maximen der albern-honetten Höflichkeit zu befolgen. Endlich bemerkte ich im Hintergrunde der Scheune eine Art inneres Dach, auf das niemand den Gedanken oder vielleicht die Kraft gehabt hatte hinaufzuklettern. Ich steige hinauf, richte mich dort ein; auch als ich mich in meiner ganzen Länge ausgestreckt habe, sehe ich noch jene wie Kälber herumliegenden Menschen. Dies traurige Schauspiel machte mich fast lachen. Die einen kauten, eine Art tierischen Vergnügens bezeigend, erfrorene Mohrrüben, und in schlechte Schals eingemummte Generäle schnarchten, als wenn es donnerte. Ein angezündeter Fichtenast erhellte die Scheune; wenn er sie in Brand gesetzt hätte, würde sich kein Mensch erhoben haben, um ihn zu löschen. Ich lege mich auf den Rücken, und ehe ich einschlafe, richte ich natürlich die Augen nach oben, und da sehe ich den Hauptbalken, auf dem das Dach ruhte, und der die Deckenbalken trug, eine leichte Bewegung von Osten nach Westen machen. Der verfluchte Balken tanzte recht hübsch. ›Meine Herren,‹ sagte ich zu denen unter mir, ›draußen ist ein Kamerad, der sich auf unsere Kosten wärmen will.‹ Der Balken mußte bald herabfallen. ›Meine Herren, meine Herren, es wird bald aus sein mit uns; sehen Sie doch den Balken an!‹ rief ich noch einmal ziemlich laut, um meine Schlafgenossen aufzuwecken. Sie haben sich wohl den Balken angesehen, mein Herr, doch die, welche schliefen, haben sich wieder ans Schlafen gemacht, und die da aßen, haben mir gar nicht geantwortet. Als ich das sah, mußte ich meinen Platz, auf die Gefahr hin, ihn zu verlieren, verlassen; denn es handelte sich darum, diesen Haufen Ruhm zu retten. Ich gehe also hinaus, laufe um die Scheune herum und sehe da einen großen Teufelskerl von Württemberger, der mit einer gewissen Begeisterung an dem Balken zerrte. ›Hallo, hallo,‹ sage ich zu ihm, indem ich ihm begreiflich mache, daß er seine Arbeit aufgeben müsse. – ›Gehe mir aus dem Gesicht, oder ich schlag' dich tot!‹ schrie er auf deutsch. ›Ach gut ja! Qui mire aous dem Guesit,‹ antwortete ich ihm, ›darum handelt sich's

Weitere Kostenlose Bücher