Der Landarzt (German Edition)
Schlamm schlagend.
»Das kann nicht so weitergehen, mein alter Kamerad!« sagte Genestas. »Ich schulde dir das Leben und würde undankbar sein, wenn ich dir nicht beispränge! Ich habe nicht vergessen, daß ich die Brücken der Beresina überschritten habe und kenne gute Burschen, die ebenfalls ein gutes Gedächtnis haben, und die werden mir helfen, dir vom Vaterlande die Belohnung, die du verdienst, zu verschaffen.«
»Sie werden Sie einen Bonapartisten nennen! Mischen Sie sich nicht darein, Herr Offizier. Uebrigens habe ich mich in den Nachtrab gedrückt und mir hier mein Loch wie eine blinde Kugel gemacht. Nur war ich nicht darauf gefaßt, nachdem ich auf den Kamelen der Wüste gereist war und ein Glas Wein in einer Ecke des brennenden Moskau getrunken hatte, unter den Bäumen zu sterben, die von meinem Vater gepflanzt worden sind!« sagte er, seine Arbeit wieder aufnehmend.
»Armer Alter,« sagte Genestas. – »An seiner Statt würde ich's so machen wie er; wir haben unsern Vater nicht mehr. Mein Herr,« sagte er zu Benassis, »dieses Mannes Ergebung stimmt mich düster. Er weiß nicht, wie sehr er mich interessiert, und wird glauben, daß ich einer jener vornehmen Lumpen bin, die kein Herz für das Unglück des Soldaten haben.«
Er kehrte sich hastig um, faßte den Pontonier bei der Hand und schrie ihm ins Ohr:
»Bei dem Kreuz, das ich trage und das ehedem eine Ehre bedeutete, schwöre ich dir, alles menschenmögliche zu unternehmen, um eine Pension für dich durchzusetzen, und wenn ich zehn ministerielle Weigerungen hinterschlucken sollte, will ich den König, den Dauphin und die ganze Bude bestürmen!«
Als er diese Worte hörte, zitterte der alte Gondrin, sah Genestas an und sagte zu ihm:
»Sie sind also einfacher Soldat gewesen?«
Der Major neigte den Kopf. Auf dies Zeichen hin wischte der Pontonier sich die Hand ab, ergriff Genestas' Hand, drückte sie mit inniger Bewegung und sagte zu ihm:
»Als ich mich da unten ins Wasser stellte, Herr General, hatte ich der Armee mein Leben als Almosen geschenkt; es hat also einen Gewinn gegeben, da ich noch auf meinen Pedalen stehe. Halt, wollen Sie den Boden des Sackes sehen? – Schön, seitdem ›der andere‹ gestorben ist, habe ich an nichts mehr Freude. Sie haben mir hier,« fügte er, fröhlich auf die Erde weisend, hinzu, »zwanzigtausend Franken angewiesen, die soll ich mir nehmen, und ich mache mich brockenweise bezahlt, wie der andere sagt!«
»Nun, lieber Kamerad,« sagte Genestas, bewegt von der Erhabenheit dieser Verzeihung, »du sollst hier wenigstens das einzige haben, was du mich nicht hindern kannst, dir zu schenken.«
Der Major schlug sich aufs Herz, blickte den Pontonier einen Moment lang an, stieg wieder auf sein Pferd und ritt an Benassis' Seite wieder weiter.
»Derartige administrative Grausamkeiten nähren den Krieg der Armen gegen die Reichen,« sagte der Arzt. »Die Leute, denen die Macht für den Augenblick anvertraut worden ist, haben niemals ernstlich an die notwendigen Folgen einer einem Manne aus dem Volke zugefügten Ungerechtigkeit gedacht. Ein Armer, der sein tägliches Brot zu verdienen gezwungen ist, kämpft nicht lange, das ist wahr; aber er redet und findet Widerhall in allen duldenden Herzen. Eine einzige Ungerechtigkeit vervielfacht sich durch die Zahl derer, die sich in ihr getroffen fühlen. Dieser Sauerteig geht auf. Das ist aber noch nichts; es entsteht daraus ein noch größeres Uebel. Solche Unbilligkeiten entfachen beim Volke einen dumpfen Haß gegen die sozial höher Gestellten.
Der Bürger wird und bleibt der Feind des Armen, der ihn außerhalb des Gesetzes stellt, ihn betrügt und bestiehlt. Für den Armen bedeutet der Diebstahl weder ein Vergehen noch ein Verbrechen mehr, er ist eine Rache. Wenn ein Administrator, wo es sich darum dreht, den Kleinen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sie mißhandelt und um ihre erworbenen Rechte prellt, wie können wir da von den brotlosen, unglücklichen Menschen Resignation ihren Nöten gegenüber und Respekt vor dem Besitze verlangen? ... Ich zittere bei dem Gedanken, daß ein Bureaumensch, dessen Dienst darin besteht, Papiere abzustauben, die Gondrin versprochene Pension von tausend Franken erhalten hat. Da beklagen sich gewisse Leute, die niemals das Uebermaß von Leiden ermessen haben, über die Maßlosigkeit der Racheakte des Volkes! Doch an dem Tage, da die Regierung mehr unglückliche als glückliche Einzelschicksale verursacht hat, hängt ihr Sturz nur von
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