Der Landarzt (German Edition)
einem Zufall ab; indem es sie stürzt, gleicht das Volk seine Rechnungen auf seine Weise aus. Ein Staatsmann müßte sich die Armen stets zu Füßen der Gerechtigkeit denken, nur für sie ist sie erfunden worden!«
Als sie das Ortsgebiet erreichten, erblickte Benassis zwei Personen, die auf der Straße gingen, und sagte zu dem Major, der seit einer Weile nachdenklich einherritt:
»Sie haben das resignierende Unglück eines Armeeveteranen gesehen, jetzt sollen Sie das eines alten Landmanns sehen. Das da ist ein Mann, der sein liebes Leben lang für andere gehackt, gegraben, gesät und geerntet hat.«
Genestas sah einen armen Greis, der in Begleitung einer alten Frau einherschritt. Der Mann schien an Hüftweh zu leiden und ging, die Füße in schlichten Holzschuhen, mühsam seinen Weg. Auf seiner Schulter trug er einen Quersack, in dessen Tasche einige Werkzeuge hin- und herfuhren, deren durch langen Gebrauch und Schweiß geschwärzte Stiele ein leichtes Geräusch erzeugten; die hintere Tasche enthielt sein Brot, einige rohe Zwiebeln und Nüsse. Sein durch die Gewohnheiten der Arbeit gewölbter Rücken zwang ihn ganz gebeugt zu gehen, auch stützte er sich, um sein Gleichgewicht zu wahren, auf einen langen Stock. Seine schneeweißen Haare wallten unter einem elenden Hute, der durch die Unbilden der Jahreszeiten fuchsig geworden und mit weißem Garn ausgebessert war. Seine grauleinenen und an hundert Stellen geflickten Kleider bildeten einen einzigen Farbenkontrast. Er war eine Art menschlicher Ruine, die keines jener charakteristischen Merkmale entbehrte, die Ruinen so rührend machen. Seine Frau, die ein bisschen gerader als er, aber in gleicher Weise mit Lumpen bedeckt war und eine plumpe Haube aufhatte, trug auf ihrem Rücken ein rundes und abgeplattetes Steingutgefäß, das mit einem durch die Henkel geschlungenen Riemen festgehalten wurde. Als sie den Hufschlag der Pferde hörten, hoben sie den Kopf, erkannten Benassis und blieben stehen. Diese beiden alten Leute, von denen der eine durch Arbeit gliederlahm, die andere, seine treue Gefährtin, gleichfalls verbraucht war, zeigten beide Gesichter, deren Züge durch Falten zerstört, deren Haut durch die Sonne geschwärzt und durch die Unbilden der Luft hart geworden war, und die zu sehen einem weh tat. Wäre ihre Lebensgeschichte nicht auf ihren Physiognomien eingegraben gewesen, würde man sie aus ihrer Haltung haben erraten können.
Unaufhörlich hatten beide gearbeitet und unaufhörlich gemeinsam gelitten, da sie sehr viel Elend und wenig Freuden zu teilen hatten. Wie der Gefangene sich an sein Gefängnis gewöhnt, so schienen sie sich mit ihrem Ungemach abgefunden zu haben; alles an ihnen war natürliche Einfachheit. Ihr Gesicht ermangelte nicht eines gewissen frohen Freimutes. Wenn man sie genau betrachtete, schien ihr monotones Leben – das Los so vieler armer Wesen – fast beneidenswert. Wohl gab es bei ihnen Spuren von Schmerz, die des Kummers aber fehlten.
»Nun, mein lieber Vater Moreau, wollt Ihr denn wirklich immer arbeiten?«
»Jawohl, Monsieur Benassis. Ich will Ihnen noch ein Heidefeld oder deren zwei urbar machen, ehe ich sterbe,« antwortete fröhlich der Greis, dessen kleine schwarze Augen sich belebten.
»Trägt Eure Frau da Wein? Wenn Ihr Euch nicht ausruhen wollt, müßt Ihr wenigstens Wein trinken.«
»Mich ausruhen! Das langweilt mich. Wenn ich im Freien und mit Urbarmachen beschäftigt bin, beleben Sonne und Luft mich. Was den Wein anlangt, ja, Herr, das ist Wein; und ich weiß wohl, daß Sie ihn uns beinahe umsonst vom Herrn Bürgermeister in Courteil verschafft haben. Ach, Sie mögen sich noch so boshaft stellen, man erkennt Sie doch sofort wieder.«
»Also, lebt wohl, Mutter. Zweifelsohne geht Ihr heute zum Grundstück des Champferlu?«
»Ja, Herr, es ist gestern abend angefangen worden.«
»Guten Mut!« sagte Benassis. »Ihr müßt doch manchmal recht zufrieden sein, wenn Ihr diesen Berg seht, den Ihr allein fast ganz urbar gemacht habt?«
»Ei gewiß, ja, Herr,« antwortete die Alte; »das ist unser Werk. Wir haben das Recht, Brot zu essen, wohl verdient.«
»Sie sehen, die Arbeit, das zu kultivierende Land,« sagte Benassis zu Genestas, »ist das Hauptbuch der Armen. Der Biedermann hier würde sich für entehrt halten, wenn er ins Siechenhaus ginge oder bettelte; er will, die Hacke in der Hand, auf freiem Felde unter der Sonne sterben. Meiner Treu, er besitzt einen stolzen Mut! Durch vieles Arbeiten ist die Arbeit sein
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