Der Landarzt (German Edition)
Interessen, die sie scheinbar konsolidieren mußten, haben ihre Tätigkeit schließlich geschwächt. Tatsächlich besitzt der Priester privilegierte Eigenschaften, er ist scheinbar ein Bedrücker; der Staat bezahlt ihn, er ist ein Beamter, er schuldet seine Zeit, sein Herz, sein Leben. Die Bürger machen ihm seine Tugenden zur Pflicht und seine Wohltätigkeit, die durch das Prinzip des freien Willens lahmgelegt wird, verdorrt in seinem Herzen. Sei der Priester aber arm, sei er freiwillig Priester, ohne eine andere Stütze wie Gott, ohne ein anderes Vermögen wie die Herzen der Gläubigen zu besitzen, so wird er wieder der Missionar Amerikas, setzt er sich als Apostel ein und ist der Fürst des Guten. Kurz, er herrscht nur durch den Mangel und unterliegt durch den Reichtum.«
Monsieur Janvier hatte sich der Aufmerksamkeit bemächtigt. Die Gäste schwiegen und dachten über die so ungewohnten Worte im Munde eines einfachen Pfarrers nach.
»Monsieur Janvier, inmitten der Wahrheiten, die Sie zum Ausdruck gebracht haben, findet sich ein schwerer Irrtum. Wie Sie wissen, liebe ich es nicht, über die durch die modernen Schriftsteller und die gesetzliche Gewalt von heute angezweifelten allgemeinen Interessen zu diskutieren. Meines Ermessens muß ein Mann, der ein politisches System ersinnt, wenn er die Kraft in sich fühlt, es in Anwendung bringen, schweigen, die Macht an sich reißen und handeln. Ist es aber, wenn er in der glücklichen Dunkelheit eines einfachen Bürgers verharrt, nicht eine Narrheit, die Massen durch individuelle Diskussionen bekehren zu wollen? Nichtsdestoweniger muß ich Sie hier bekämpfen, mein lieber Seelenhirt, weil ich mich hier an wackere Leute wende, die gewöhnt sind, ihre Ansichten zu vereinigen, um in allen Dingen die Wahrheit zu suchen. Meine Gedanken können Ihnen seltsam erscheinen, sind aber die Frucht der Ueberlegungen, welche mir die Katastrophen unserer letzten vierzig Jahre eingegeben haben. Das allgemeine Wahlrecht, welches die der sogenannten konstitutionellen Opposition angehörenden Leute fordern, war in der Kirche ein ausgezeichnetes Prinzip, weil, wie Sie es soeben ausgesprochen haben, lieber Pfarrer, die Individuen in ihr alle unterrichtet, durch das religiöse Gefühl diszipliniert, von dem nämlichen Prinzip durchdrungen waren, und wohl wußten, was sie wollten und wohin sie strebten. Der Triumph der Ideen aber, mit deren Hilfe der moderne Liberalismus unklugerweise die gedeihliche Regierung der Bourbons bekämpft, wird das Verderben Frankreichs und der Liberalen selber sein. Die Häupter der Linken wissen das sehr gut. Für sie ist dieser Kampf eine einfache Machtfrage. Wenn, was Gott verhüten möge, die Bourgeoisie unter dem Banner der Opposition die sozial hervorragenden Persönlichkeiten, gegen welche ihre Eitelkeit sich sträubt, niederwürfe, müßte diesem Triumph unverzüglich ein Kampf folgen, der von der Bourgeoisie gegen das Volk geführt würde, das später in ihr eine Art freilich armseligen Adels sehen würde, dessen Glücksgüter und Privilegien ihm um so verhaßter sein dürften, als es sie aus größerer Nähe fühlen würde. In diesem Kampfe würde die Gesellschaft, ich sage nicht die Nation, von neuem untergehen, weil der stets nur momentane Triumph der leidenden Masse die größten Unordnungen mit sich bringt. Dieser Kampf würde erbittert und rastlos sein; denn er würde auf instinktiven oder künstlich herbeigeführten Spaltungen zwischen den Wählern beruhen, deren minder aufgeklärter aber numerisch größerer Teil in einem System, wo die Wahlstimmen gezählt und nicht gewogen werden, den Sieg über die Spitzen der Gesellschaft davontragen wird. Daraus folgt, daß eine Regierung niemals stärker organisiert, folglich vollkommener ist, als wenn sie für die Verteidigung eines beschränkteren Privilegs bestellt ist. Was ich in diesem Augenblick Privileg nenne, ist keines jener Rechte, die früher bestimmten Personen zum Nachteile aller mißbräuchlicherweise gewährt worden sind, nein; es drückt viel genauer den sozialen Kreis aus, in welchem die Entwicklung – die Macht beschlossen liegt. Die Macht ist gewissermaßen das Herz des Staates. Nun, in allen ihren Schöpfungen hat die Natur das vitale Prinzip enger begrenzt, um ihm größere Spannkraft zu verleihen; so auch bei den politischen Körperschaften. Ich will meinen Gedanken durch Beispiele erläutern. Lassen wir in Frankreich hundert Pairs zu, so werden sie nur hundert Friktionen verursachen.
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