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Der Landarzt (German Edition)

Der Landarzt (German Edition)

Titel: Der Landarzt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Regierungsbaracke ruhig zu verhalten. Hört: die Wahrheit von allem ist, daß seine Freunde ihn in der Wüste allein gelassen haben, um einer auf ihn gemachten Prophezeiung genugzutun; denn ich hab' vergessen, euch zu sagen, daß sein Name Napoleon soviel heißt wie ›Wüstenlöwe‹. Und das ist wahr wie das Evangelium. Alles andre, was ihr über den Kaiser hören werdet, sind Dummheiten, die keine menschliche Form haben. Weil Gott, seht ihr, eines Volkes Kinde nicht das Recht verliehen haben würde, seinen Namen rot hinzuschreiben, wie er den seinigen auf die Erde geschrieben hat, die sich seiner stets erinnern wird! ...
    Es lebe Napoleon, des Volkes und der Soldaten Vater!«
    »Es lebe der General Éblé,« schrie der Pontonier.
    »Wie habt ihr's denn angestellt, daß ihr in der Moskwaschlucht nicht den Tod gefunden habt?« fragte eine Bäuerin.
    »Wenn ich das wüßte! Wir sind dort eingedrungen, ein ganzes Infanterieregiment, weil nur Infanteristen imstande waren, sie zu nehmen, und nur hundert davon blieben auf den Beinen. Die Infanteristen, seht ihr, bedeuten alles in einer Armee ...«
    »Nun, und die Kavallerie?« rief Genestas, der sich oben vom Boden hinunterrollen ließ und mit einer Schnelligkeit unten erschien, die den Mutigsten einen Schreckensruf entlockte. »He, mein Alter, du vergißt Poniatowskis roten Lanzenreiter, die Kürassiere, die Dragoner, die ganze Gesellschaft! Als Napoleon, der ungeduldig war, seine Schlacht nicht zum entscheidenden Siege vorwärtsrücken zu sehen, zu Murat sagte: ›Sire, schneide mir das in zwei Stücke!‹, da reiten wir los, anfangs im Trab, dann im Galopp und eins, zwei, drei war die feindliche Armee zerschnitten wie ein Apfel mit einem Messer. Ein Kavallerieangriff, mein Alter, verstehst du, ist eine Kolonne Kanonenkugeln!«
    »Und die Pontoniere?« rief der Taube.
    »Ach ja, liebe Kinder,« fuhr Genestas ganz beschämt über seinen Ausfall fort, als er sich inmitten eines verdutzten und schweigenden Kreises sah, »hier gibt's keine bezahlten Unruhestifter. Da nehmt, trinkt auf den kleinen Korporal!«
    »Es lebe der Kaiser!« schrien die Leute der Spinnstube wie aus einem Munde.
    »Pst! Kinder,« sagte der Offizier und bemühte sich, seinen tiefen Schmerz zu verbergen. »Pst! Er ist mit den Worten: ›Ruhm, Frankreich und Schlacht!‹ gestorben ... Liebe Kinder, er hat sterben müssen; sein Gedächtnis aber ... niemals!«
    Goguelat machte ein Zeichen der Ungläubigkeit, dann sagte er leise zu seinen Nachbarn:
    »Der Offizier steht noch im Dienste; und es ist ihre Instruktion, dem Volke zu sagen, der Kaiser sei tot. Man muß ihm deshalb nicht böse sein, weil ein Soldat schließlich nur seine Instruktion kennt.«
    Als er die Scheune verließ, hörte Genestas die Fosseuse sagen:
    »Der Offizier dort, wißt ihr, ist ein Freund des Kaisers und ein Freund Monsieur Benassis'!«
    Alle Leute der Spinnstube stürzten nach der Türe, um den Major noch einmal zu sehen, und im Mondenscheine sahen sie ihn des Arztes Arm nehmen.
    »Ich hab' Dummheiten gemacht,« sagte Genestas. »Gehn wir schnell nach Hause. Diese Adler, diese Kanonen, diese Feldzüge! ... Ich wußte nicht mehr, wo ich war.«
    »Nun, was sagen Sie zu meinem Goguelat?« fragte ihn Benassis.
    »Mit solchen Erzählungen, mein Herr, wird Frankreich immer die vierzehn Armeen der Republik im Leibe haben, und die Unterhaltung mit Europa wacker mit Kanonenschlägen weiterführen können. Das ist meine Ansicht.«
    In kurzer Zeit erreichten sie Benassis' Wohnung und bald saßen beide nachdenklich rechts und links vom Kamin im Salon, wo das ausgehende Feuer noch einige Funken sprühte. Trotz der Vertrauensbeweise, die er vom Arzte erhalten hatte, zögerte Genestas noch, eine letzte Frage an ihn zu richten, die indiskret erscheinen konnte. Nachdem er ihm aber einige forschende Blicke zugeworfen hatte, wurde er durch ein Lächeln voller Bitterkeit, wie es zuweilen die Lippen wirklich starker Männer umspielt, ein Lächeln, durch das Benassis auf seine stumme Frage schon zustimmend zu antworten schien, ermutigt. Er sagte also zu ihm:
    »Ihr Leben, mein Herr, unterscheidet sich so sehr von dem gewöhnlicher Menschen, daß Sie nicht erstaunt sein werden, mich Sie nach den Gründen Ihrer Zurückgezogenheit fragen zu hören. Wenn Ihnen meine Neugier unschicklich erscheint, werden Sie doch zugeben, daß sie ganz natürlich ist. Hören Sie: ich habe Kameraden gehabt, die ich selbst, nachdem ich mehrere Feldzüge zusammen mit ihnen

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