Der Landarzt (German Edition)
mitgemacht, niemals geduzt habe; dagegen habe ich andere gehabt, zu denen sagte ich: ›Hol' unser Geld beim Zahlmeister!‹ drei Tage, nachdem wir uns zusammen betrunken hatten, wie das den anständigsten Leuten bei den Liebesmahlen zuweilen passieren kann. Nun, Sie sind einer jener Männer, zu deren Freund ich mich mache, ohne Ihre Erlaubnis abzuwarten, ja ohne recht zu wissen, weshalb!«
»Hauptmann Bluteau ...«
Jedesmal, wenn der Arzt den falschen Namen aussprach, den sein Gast sich zugelegt hatte, konnte dieser seit einiger Zeit eine leichte Grimasse nicht unterdrücken. Benassis überraschte in jenem Augenblick diesen Ausdruck des Widerwillens und blickte den Offizier fest an, um die Ursache davon zu entdecken. Da es ihm aber recht schwer geworden wäre, die wirkliche herauszubekommen, schrieb er die Bewegung körperlichen Schmerzen zu, und sagte fortfahrend:
»Hauptmann, ich will von mir erzählen. Seit gestern hab' ich mir bereits mehrere Male einen gewissen Zwang antun müssen, wenn ich Ihnen die Verbesserungen auseinandersetzte, die ich hier habe durchführen können; aber es handelte sich um die Gemeinde und ihre Bewohner, mit deren Interessen die meinen notwendigerweise Hand in Hand gehen. Ihnen jetzt meine Geschichte erzählen, würde heißen, Sie nur von mir unterhalten, und mein Leben ist wenig interessant.«
»Und wäre es einfacher als das Ihrer Fosseuse,« antwortete Genestas, »so möchte ich's doch kennenlernen, um die Mißgeschicke zu erfahren, die einen Mann Ihres Schlages in diesen Bezirk verschlagen konnten.«
»Seit zwölf Jahren habe ich geschwiegen, Hauptmann. Jetzt, wo ich, am Rande meines Grabes, den Stoß erwarte, der mich hineinstürzen soll, will ich so ehrlich sein, Ihnen zu gestehen, daß dieses Schweigen mich zu bedrücken anfing. Seit zwölf Jahren leide ich, ohne des Trostes teilhaftig geworden zu sein, den die Freundschaft an schmerzende Herzen verschwendet. Meine armen Kranken, meine Bauern zeigen mir das Beispiel einer vollkommenen Resignation, aber ich verstehe sie, und sie merken das, während niemand hier meine heimlichen Tränen empfangen, noch mir jenen verständnisinnigen Händedruck eines wackeren Mannes, die beste aller Belohnungen geben kann, die niemandem, selbst Gondrin nicht, fehlt.«
In plötzlicher Bewegung streckte Genestas Benassis die Hand hin, den diese Geste stark ergriff.
»Vielleicht hätte die Fosseuse mich engelhaft verstanden,« fuhr er mit erregter Stimme fort, »aber sie würde mich vielleicht geliebt haben, und das wäre ein Unglück gewesen. Sehen Sie, Hauptmann, nur ein alter nachsichtiger Soldat, wie Sie es sind, oder ein junger Mensch voller Illusionen könnten meine Beichte hören; denn nur von einem Manne, der das Leben gut kennt oder von einem Kinde, dem es vollkommen fremd ist, würde sie recht verstanden werden. Wenn sie keinen Priester hatten, beichteten die alten Heerführer, wenn sie auf dem Schlachtfelde starben, dem Kreuz ihres Schwertgriffs und machten es zu einem treuen Vertrauten zwischen sich und Gott. Werden Sie nun, eine der besten Klingen Napoleons, Sie, die Sie hart und stark wie Stahl sind, mich vielleicht recht verstehen? Um sich für meine Geschichte zu interessieren, muß man sich in gewisse Zartheiten des Gemüts versetzen und Glaubenssätze teilen können, die einfachen Herzen so natürlich sind, vielen Philosophen aber, die sich für ihre Privatinteressen gewöhnlich der den Regierungen der Staaten vorbehaltenen Maximen bedienen, lächerlich erscheinen. Ich will aufrichtig mit Ihnen sprechen wie ein Mann, der weder das Gute noch das Schlechte seines Lebens rechtfertigen will, der Ihnen aber nichts verheimlichen wird, weil er heute der Welt fernsteht, dem Urteil der Menschen gegenüber gleichgültig und voller Hoffnung auf Gott ist.«
Benassis hielt inne, dann stand er auf und sagte:
»Ehe ich mit meiner Erzählung anfange, will ich Tee bestellen. Seit zwölf Jahren hat Jacquotte es nie versäumt, mich zu fragen, ob ich Tee haben will; sie würde uns sicherlich unterbrechen. Halten Sie mit, Hauptmann?«
»Nein, ich danke Ihnen.«
Benassis kam sofort wieder zurück.
IV
Die Beichte des Landarztes
»Ich bin«, begann der Arzt, »in einer kleinen Stadt des Languedoc geboren, wo mein Vater sich seit langem niedergelassen hatte, und wo meine erste Jugend verstrichen ist. Im Alter von acht Jahren wurde ich ins Gymnasium von Sorrèze gesteckt, das ich erst verließ, um meine Studien in Paris zu beendigen. Mein Vater
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