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Der Landarzt (German Edition)

Der Landarzt (German Edition)

Titel: Der Landarzt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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hatte die tollste, verschwenderischste Jugend hinter sich; sein verschwendetes elterliches Erbteil wurde indes durch eine glückliche Heirat und durch die allmählichen Ersparnisse wiederhergestellt, die man in der Provinz macht, wo man sich auf Vermögen und nicht aber auf Aufwand etwas einbildet, und wo der dem Manne natürliche Ehrgeiz aus Mangel an edler Nahrung erlischt und sich in Geiz verwandelt. Als er reich geworden war und nur einen Sohn besaß, wollte er auf ihn die kühle Erfahrung übertragen, die er für seine verflüchtigten Illusionen eingetauscht hatte: letzte und edle Irrtümer der Greise, die vergebens ihre Tugenden und ihre klugen Rechnungen Kindern zu vermachen suchen, die begeistert vom Leben sind und es genießen wollen. Diese Vorsorge diktierte ihm einen Plan für meine Erziehung, dessen Opfer ich wurde. Mein Vater verbarg mir sorgfältig seinen Vermögensstand und verdammte mich, in meinem Interesse während meiner schönsten Jahre die Entbehrungen und Sorgen eines jungen Mannes zu ertragen, der darauf brennt, seine Unabhängigkeit zu erwerben. Er wünschte mir die Tugenden der Armut: Geduld, Wissensdurst und Arbeitsliebe einzuflößen. Indem er mich so den vollen Wert des Vermögens kennenlernen ließ, hoffte er, mich zu lehren, meine Erbschaft zusammenzuhalten; auch drängte er mich, sobald ich fähig war, seine Ratschläge zu verstehen, einen Beruf zu wählen und mich ihm zu widmen. Meine Neigungen wiesen mich auf das Medizinstudium. Von Sorrèze aus, wo ich zehn Jahre lang unter der halb klösterlichen Disziplin der Oratorianer gelebt hatte und in die Einsamkeit eines Provinzgymnasiums versenkt gewesen war, wurde ich ohne jeden Uebergang in die Hauptstadt versetzt. Mein Vater begleitete mich dorthin, um mich einem seiner Freunde anzuempfehlen. Ohne mein Wissen trafen die beiden alten Männer sorgsame Vorsichtsmaßregeln gegen die Aufwallungen meiner damals sehr unschuldigen Jugend. Mein Wechsel wurde streng nach den wirklichen Lebensbedürfnissen abgemessen, und ich durfte seine Vierteljahrsraten nur unter Beibringung der Quittungen über die an der Medizinschule belegten Vorlesungen erheben. Dies ziemlich beleidigende Mißtrauen wurde mit Ordnungs- und Verantwortlichkeitsgründen bemäntelt. Mein Vater zeigte sich übrigens in bezug auf alle für meine Erziehung und für die Vergnügungen des Pariser Lebens notwendigen Kosten freigebig. Sein alter Freund, der glücklich war, einen jungen Mann in das Labyrinth, das ich betreten sollte, einzuführen, gehörte zu jener Art von Menschen, die ihre Gefühle ebenso sorgfältig registrieren, wie sie ihre Papiere ordnen. Wenn er in seiner Agenda nachblätterte, konnte er immer sehen, was er zu der entsprechenden Stunde des verflossenen Jahres getan hatte. Das Leben bildete für ihn ein Unternehmen, über das er kaufmännisch genau Buch und Rechnung führte. Uebrigens war er ein zwar verdienstvoller, aber schlauer, ängstlicher und mißtrauischer Mann, dem es nie an scheinbar einleuchtenden Gründen fehlte, um die Vorsichtsmaßregeln, die er meinetwegen traf, zu beschönigen. Er kaufte meine Bücher und bezahlte meine Vorlesungen; wenn ich reiten lernen wollte, erkundigte sich der Biedermann selber genau nach dem besten Reitstall, führte mich dorthin und kam meinen Wünschen zuvor, indem er mir für die Feiertage ein Pferd zur Verfügung stellte. Trotz dieser Greisenlisten, die ich im Moment, wo mir daran lag, mich mit ihm zu messen, zu vereiteln wußte, war dieser ausgezeichnete Mann ein zweiter Vater für mich.
    ›Mein Freund,‹ sagte er zu mir in dem Augenblicke, wo er erriet, daß ich meinen Zügel zerreißen würde, wenn er ihn nicht verlängerte, ›junge Leute machen häufig dumme Streiche, zu denen sie die Hitze ihres Alters verleitet; und es könnte Ihnen in einem solchen Falle passieren, daß Sie Geld nötig haben; kommen Sie dann zu mir, Ihr Vater hat mich früher einmal in liebenswürdiger Weise sich verpflichtet, ich werde stets einige Taler zu Ihrer Verfügung haben; belügen Sie mich aber niemals, schämen Sie sich nicht, mir Ihre Fehltritte zu gestehen, ich bin auch jung gewesen, wir werden uns immer wie zwei gute Kameraden verstehen.‹
    Mein Vater brachte mich in einer bürgerlichen Pension im Quartier Latin bei ehrenwerten Leuten unter, wo ich ein recht hübsch eingerichtetes Zimmer hatte. Diese erste Unabhängigkeit, meines Vaters Güte und das Opfer, das er mir zu bringen schien, verursachten mir indessen wenig Freude.

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