Der lange Regen
Körperkraft, und manche von ihnen verfügten über geistige Fähigkeiten, die denen eines normalen Menschen weit überlegen waren. Sie waren es, die mit dem ersten, noch ungeordneten Angriff begannen, indem sie ihre Befreier töteten.
Unter den Syntanten waren charismatische, begnadete Führungspersönlichkeiten, die sich an die Spitze der marodierenden Horden setzten. In kürzester Zeit hatten sie sich organisiert. Polizeistationen, Armeekasernen und Waffenlager wurden überfallen. Ab diesem Augenblick begann der Spaß so richtig.
Weltweit waren nun etwa zwanzigtausend Syntanten schwer bewaffnet unterwegs, zogen in Gruppen mordend durch die Städte. Ihr Hass auf alle Menschen war so groß, dass sie keine Gnade kannten. Wer ihnen in die Hände fiel, wurde getötet. Die staatlichen Organe reagierten viel zu spät. Bis die Armee- und Polizeikräfte effektiv eingesetzt wurden, vergingen sechsunddreißig Stunden. Sechsunddreißig Stunden, in denen 137 000 Menschen den Horden zum Opfer fielen, die sich in einen wahren Blutrausch gesteigert hatten.
Ich selbst war damals neunzehn Jahre alt. Ein blutjunger Streifenpolizist, frisch von der Polizeischule und seit einer Woche im Dienst. Ich war nicht vorbereitet auf das, was mich erwartete. Niemand war das.
Als die Unruhen ausbrachen, wurde ich einem Einsatzkommando in Hamburg-Süd zugeteilt. Dort war es ganz schlimm gekommen. Gleich zwei Pharmagiganten hatten ihre Versuchsstätten am Stadtrand eingerichtet, und nun kochten die Straßen mit Syntanten über. Zwölfhundert blutrünstige Monster gegen fast zweitausend Beamte, die man hastig zu einem Kommando zusammengestellt hatte, und denen man die unlösbare Aufgabe übertrug, ein weiteres Vordringen der Horde auf Hamburg-Mitte um jeden Preis zu verhindern.
Die Schlacht, es war nichts anderes, ging drei Tage lang. Beide Seiten kämpften mit unvorstellbarer Härte. Es gab kein Erbarmen und keine Gefangenen. Mit eigenen Augen habe ich gesehen, wie Syntanten drei Meter hohe Absperrungen übersprangen und mit nackten Händen unter den Polizisten wüteten. Die Männer um mich herum fielen wie Weizen unter der Sense eines Bauern.
Wir kämpften tapfer und töteten Unzählige von ihnen, aber selbst im Sterben griffen sie noch an.
Ich werde diese grauenhaften Erlebnisse niemals vergessen können und das, obwohl ich das eigentliche Ende, das wahre Massaker gar nicht erlebt habe, als die Armee endlich eintraf, die Syntanten wie Vieh zusammentrieb und abschlachtete.
Über fünfzehnhundert Polizisten hatten ihr Leben während dieser sechsunddreißig Stunden verloren. Von den zwölfhundert Syntanten überlebte nicht ein Einziger.
Ich selbst war während der Kämpfe schwer verletzt worden und hatte mich in ein zerstörtes Geschäft geschleppt, wo ich mehr tot als lebendig drei Tage bewusstlos lag, bis mich ein Arbeiter bei Aufräumarbeiten entdeckte und ins Krankenhaus brachte.
Noch heute wache ich manchmal schweißgebadet auf, wenn ich in meinen Träumen von den damaligen Erlebnissen heimgesucht werde.
Aber diesmal war es kein Traum. Vor mir lag die Leiche eines Menschen - getötet von einem Syntanten.
Sie waren zurückgekehrt.
Eine Stunde später.
Die Leiche war längst abtransportiert, der Gerichtsmediziner hatte seine Arbeit getan, später würde ich mich mit ihm über die Ergebnisse der Autopsie unterhalten müssen. Behring saß in seinem Büro, tippte seinen Bericht in den Computer und hatte die Sache wahrscheinlich innerlich längst abgehakt, da er wusste, dass ich mich hinter die Lösung dieses Falles klemmen würde.
Nur ich befand mich noch am Tatort, umgeben von dem lästigen Summen des Impulsgebers, der die Stromversorgung der Absperrung aufrechterhielt, obwohl schon längst nichts mehr zu sehen war.
Ich hatte mich auf den schmutzigen Boden gesetzt, den Rücken an die schmierige Wand eines Chinarestaurants gelehnt und dachte über meine nächsten Schritte nach.
Nein, das ist gelogen oder zumindest nicht die ganze Wahrheit. In Wirklichkeit tauchten meine Gedanken in die Vergangenheit ein. Bilder huschten durch mein Bewusstsein. Bilder von jungen Männern, die mir zuversichtlich zublinzelten, bevor sie von den Syntanten zerfetzt wurden.
Was sollte ich jetzt tun?
Was war die richtige Vorgehensweise?
Normalerweise hätte ich sofort die Behörden für Innere Sicherheit informieren müssen, aber aus einem Grund, den ich selbst nicht nennen konnte, entschied ich mich dagegen.
Erst wollte ich mir Gewissheit
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