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Der lange Regen

Der lange Regen

Titel: Der lange Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kenlock
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bequemen Korbstuhl sinken ließ, fragte er mich, ob er mir etwas zu trinken anbieten könne. Ich bat ihn um ein Bier. Wenig später reichte er mir einen Krug mit dem eiskalten Gebräu. Da er keine Eile zu kennen schien, ließ ich es langsam angehen, trank einen großen Schluck Bier, das mir erfrischend durch die Kehle lief. Um meinen Kopf surrten ein paar Fliegen. Ich scheuchte sie mit einer Handbewegung weg.
    „Ich habe Ihnen eine traurige Mitteilung zu machen“, sagte ich.
    Er nickte. „Ich weiß.“
    „Sie wissen es bereits?“
    „Ja.“
    Eigentlich hätte ich es mir denken können. Jemand hatte ihn informiert.
    „Ich möchte Ihnen mein Beileid aussprechen.“
    „Danke.“
    Ich wartete auf eine Reaktion, aber es kam nichts. Entweder er war sehr gefasst, oder der Tod seines Sohnes berührte ihn nicht. Vielleicht hatten sie sich nicht sonderlich gut verstanden.
    „Können Sie mir etwas sagen, das mir weiterhelfen könnte, seine Ermordung aufzuklären?“
    „Nein. Erwin lebte sein eigenes Leben.“
    Keine Frage nach den Tatumständen, oder ob es bereits einen Verdächtigen gab. Sehr ungewöhnlich.
    „Gar nichts?“, hakte ich nach.
    Er schüttelte den Kopf in einer unwilligen Geste, so als belästige ihn die wiederholte Frage.
    „Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?“
    „Gestern Morgen. Beim Frühstück.“
    „Hat er Ihnen gesagt, wohin er gehen wollte?“
    „Nein.“
    Der Mann verwirrte mich. Er war freundlich, aber desinteressiert. In den vielen Jahren, die ich nun schon Dienst in der Mordkommission tat, war mir so ein Verhalten noch nicht untergekommen. Wenn jemand durch eine Gewalttat ums Leben kam, gab es immer eine Reaktion. Wut, Hass, Trauer, selbst Freude oder Zufriedenheit. Was hier ablief, weckte ein ungutes Gefühl in mir. Ein Gefühl, als habe man den Anfang eines Filmes verpasst und versuche nun aus dem Verhalten der Schauspieler herauszufinden, was bisher geschehen war. Ich nahm einen weiteren Schluck Bier, um Zeit zu gewinnen, damit ich meine Gedanken ordnen konnte.
    „Sie wirken nicht besonders bestürzt über den Tod Ihres Sohnes.“
    Nun war es heraus, aber ich konnte nicht anders. Ich musste eine Reaktion provozieren, wenn ich weiterkommen wollte. Er war der Einzige, der mir helfen konnte.
    „Finden Sie?“
    Alles hatte ich erwartet. Eine Zurechtweisung, Entrüstung, Tränen, Wut, aber nicht das. Nicht eine freundliche Gegenfrage.
    Wir schwiegen. Nur das Summen der Insekten war zu hören. Mein Blick wanderte über den See. „Wunderschön.“
    „Ja“, stimmte er mir zu.
    „Wahrscheinlich nicht einfach zu pflegen.“
    „Nein.“
    „Haben Sie Probleme mit Algenbildung?“ Ich deutete auf einen sichtbaren grünen Fleck, der sich träge auf der Wasseroberfläche bewegte.
    Sein Lächeln war das Letzte, was ich sah. Ich spürte einen kurzen Einstich in meinem Nacken, dann versank die Welt in Dunkelheit.
     
     

5. Tage wie dieser
     
    Ich erwachte in einer vollkommen anderen Umgebung. Hinter meinen Augen pochte ein dumpfer Schmerz, und ich musste mich zwingen, sie zu öffnen. Als ich mich aufrichtete, revoltierte mein Magen, und ich übergab mich an Ort und Stelle.
    Sie hatten mich in einen Raum ohne Fenster gebracht. Einen großen Raum, fast eine Halle. Der Boden, auf dem ich gelegen hatte, bestand aus nacktem Stein, genauso die Wände. Es herrschte trübes Licht. Eine Lichtquelle konnte ich nicht ausmachen. Es dauerte eine Weile, bis sich meine Augen an das fahle, düstere Grau gewöhnt hatten.
    Ich war nicht allein.
    Nein, so kann man das nicht sagen. Ich war allein, aber um mich herum standen unzählige gläserne Tanks. Mit schleppenden Schritten schlurfte ich auf den nächsten zu, presste mein Gesicht gegen die Scheibe und starrte hinein. In einer trüben Flüssigkeit schwamm ein menschlicher Körper. Schläuche führten aus Mund und Nase zu einem Apparat, der seltsam hohe Geräusche von sich gab.
    Es war ein Mann, und er schien zu schlafen. Ich konnte sehen, wie sich sein Brustkorb beim Atmen hob und senkte. Etwas war ungewöhnlich an ihm, und es dauerte mehrere Minuten, bis ich wusste, was es war.
    Der Mann war unbehaart. Weder auf seinem Kopf noch an seinem Körper war irgendeine Form von Behaarung zu sehen.
    Ein Syntant .
    Die Erkenntnis war so schockierend, dass mir schwindlig wurde. Ich musste mich setzen. Erst Minuten später war ich wieder in der Lage, meine Untersuchung fortzusetzen.
    Der Raum war wesentlich größer, als ich ursprünglich angenommen hatte.

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