Der lange Weg zur Freiheit
erwarten würde. Als Kompromiß schlug ich Lilian vor, die Frauen sollten zwei Wochen im Gefängnis bleiben, und danach würden wir sie gegen Kaution herausholen können. Lilian willigte ein.
Im Laufe der nächsten zwei Wochen verbrachte ich viele Stunden im Gericht, um für die Frauen Kautionen auszuhandeln. Einige Frauen waren frustriert und ließen ihre Wut an mir aus. »Mandela, ich hab deine Sache satt«, sagte eine der Frauen zu mir. »Wenn heute nicht endlich Schluß ist, werde ich nie wieder vor Gericht erscheinen.« Schließlich schafften wir es mit Hilfe von Verwandten und Organisationen, die Geld sammelten, alle Frauen innerhalb von zwei Wochen gegen Kaution freizubekommen.
Winnie schien ihre Gefängniserfahrung gut überstanden zu haben. Falls sie gelitten hatte, sie würde es mir nicht gesagt haben. Während ihres Gefängnisaufenthalts hatte sie sich mit zwei Aufseherinnen angefreundet, beide Afrikanderinnen und beide noch sehr jung. Sie zeigten sich mitfühlend und neugierig, und nachdem Winnie gegen Kaution freigekommen war, luden wir sie ein, uns zu besuchen. Sie nahmen die Einladung an und kamen mit dem Zug nach Orlando. Nachdem wir in unserem Haus zu Mittag gegessen hatten, führte Winnie die beiden in der Township umher. Winnie und die beiden Aufseherinnen waren ungefähr im gleichen Alter und verstanden sich gut. Alle drei lachten miteinander, als wären sie Schwestern. Die beiden Mädchen genossen den Tag sehr, und als sie sich bei Winnie bedankten, sagten sie, sie würden sehr gern wiederkommen. Wie sich herausstellte, war das unmöglich, denn sie hatten im Zug nach Orlando unvermeidlicherweise in einem Wagen für Nichtweiße gesessen. (Es gab keine »weißen« Züge nach Orlando, aus dem einfachen Grund, daß Weiße nie den Zug nach Orlando nahmen.) Folglich zogen sie viel Aufmerksamkeit auf sich, und bald war weithin bekannt, daß zwei weiße Aufseherinnen vom Fort Winnie und mich besucht hatten. Für uns war das kein Problem, doch stellte sich heraus, daß es für sie ein Problem war, denn die Gefängnisbehörden entließen beide. Wir sahen sie nie wieder.
Seit den letzten sechs Monaten – seit dem Ende der Voruntersuchung im Januar – warteten wir auf unseren eigentlichen Prozeß, der im August 1958 beginnen sollte. Für den Prozeß setzte die Regierung ein hohes Sondergericht ein – Richter Rumpff, der den Vorsitz hatte, sowie Richter Kennedy und Richter Ludorf. Besonders vielversprechend war dieses Gremium nicht: Es bestand aus drei weißen Männern, die alle Bindungen zur herrschenden Partei hatten. Richter Rumpff war zwar ein fähiger Mann und besser informiert als der durchschnittliche weiße Südafrikaner, doch es hieß, er sei Mitglied des »Broederbond« (»Bruderbund«), einer geheimen Afrikander-Organisation, deren Ziel es war, die Macht der Afrikander zu festigen. Richter Ludorf war ein bekanntes Mitglied der National Party, genau wie Richter Kennedy aus Natal. Kennedy hatte den Ruf, ein »hängender« Richter zu sein, weil er einmal 23 Afrikaner für die Ermordung von zwei weißen Polizisten an den Galgen gebracht hatte.
Unmittelbar vor Wiederaufnahme des Falls ließ sich der Staatsanwalt einen weiteren unangenehmen Trick gegen uns einfallen. Man verlegte den Prozeß von Johannesburg in das 50 Kilometer entfernte Pretoria. Er sollte in einer früheren Synagoge stattfinden, die man in einen Gerichtssaal umgewandelt hatte. Da alle Angeklagten wie auch unser Verteidigerteam in Johannesburg wohnten, würden wir gezwungen sein, jeden Tag nach Pretoria zu reisen. Der Prozeß würde uns jetzt noch mehr Zeit und Geld kosten – und beides hatten wir nicht im Überfluß. Wer seinen Arbeitsplatz behalten hatte, verdankte dies dem Umstand, daß das Gericht nicht weit vom Arbeitsplatz entfernt lag. Die Verlegung des Gerichtsorts war auch ein Versuch, uns den Mut zu nehmen, indem man uns von unseren natürlichen Anhängern trennte. Pretoria war die Heimstatt der National Party, während der ANC dort kaum präsent war.
Zu Anfang des Prozesses benutzten fast alle der 92 Angeklagten zur Fahrt nach Pretoria einen unbequemen, schwerfälligen Bus, dessen Sitze aus harten Holzbrettern bestanden. Der Bus fuhr jeden Tag morgens um sechs Uhr los und brauchte zwei Stunden bis zur Alten Synagoge. Nahezu fünf Stunden kostete uns dieser Pendelverkehr – eine Zeit, die sich weitaus besser hätte nutzen lassen, um Geld zu verdienen für Lebensmittel, Miete und Kleidung für die
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