Der lange Weg zur Freiheit
die sie mir aufgetragen hatte.
Als ich am Tag vor dem Streik Ida und ihren zwölfjährigen Sohn nach Hause fuhr, erklärte ich, für den folgenden Tag müsse sie noch ein paar Hemden waschen und bügeln. Meiner Bitte folgte ein langes, uncharakteristisches Schweigen. Schließlich wandte sich Ida mir zu und sagte mit kaum verhohlener Verachtung: »Sie wissen doch sehr gut, daß ich das nicht tun kann.«
»Warum nicht?« fragte ich, über ihre heftige Reaktion erstaunt.
»Haben Sie vergessen, daß auch ich eine Arbeiterin bin?« fragte sie mit einiger Genugtuung. »Ich werde morgen streiken, zusammen mit meinen Leuten und Kollegen!«
Ihr Sohn sah meine Verlegenheit, und in seiner jungenhaften Art versuchte er, die Spannung zu mindern, indem er sagte, »Onkel Nelson« habe sie doch immer als Schwester und nicht als Arbeiterin behandelt. Gereizt wandte sie sich ihrem wohlmeinenden Sohn zu und erklärte: »Junge, wo warst du, als ich in jenem Haus für mein Recht gestritten habe? Hätte ich nicht hart gekämpft gegen deinen ›Onkel Nelson‹, würde ich heute nicht wie eine Schwester behandelt werden!« Ida kam am nächsten Tag nicht zur Arbeit, und meine Hemden blieben ungebügelt.
Wenige Fragen rührten so sehr an einen neuralgischen Punkt wie die Frage von Pässen für Frauen. Der Staat war nicht schwächer geworden durch seinen Beschluß, Frauen Pässe aufzuzwingen, und die Frauen waren nicht schwächer geworden in ihrer Entschlossenheit, dagegen Widerstand zu leisten. Zwar nannte die Regierung Pässe jetzt »reference books«, doch das konnte die Frauen nicht täuschen: wenn sie ihr »reference book« nicht vorweisen konnten, so mußten sie mit einer Geldstrafe von zehn Pfund oder einer Haftstrafe von einem Monat rechnen.
Angespornt von den Bemühungen der ANC-Frauenliga, reagierten 1957 Frauen im ganzen Land, in ländlichen Gebieten wie in den Städten, mit Zorn auf die Forderung des Staates, Pässe bei sich zu tragen. Die Frauen waren mutig, beharrlich, enthusiastisch, unermüdlich, und ihr Protest gegen Pässe bildete ein Vorbild für Proteste gegen die Regierung, das nie wieder erreicht wurde. Wie Häuptling Luthuli sagte: »Wenn die Frauen anfangen, einen aktiven Teil im Kampf zu übernehmen, dann kann uns keine Macht auf Erden davon abhalten, noch zu unseren Lebzeiten die Freiheit zu erringen.«
Überall im südöstlichen Transvaal, in Standerton, Heidelberg, Balfour und anderen »Dorps«, protestierten Tausende von Frauen. Eine Unterbrechung des Hochverratsprozesses nutzten Frances Baard und Florence Matomela, um in Port Elizabeth, ihrer Heimatstadt, die dortigen Frauen zu organisieren, damit sie die Annahme der Pässe verweigerten. Im Oktober versammelte sich in Johannesburg eine große Gruppe von Frauen beim Central Pass Office und jagten sowohl Frauen davon, die gekommen waren, um Pässe abzuholen, als auch Beamte, die dort arbeiteten. Sie brachten die Behörde zum Stillstand, und die Polizei verhaftete Hunderte von Frauen.
Eines Abends, nicht lange nach diesen Festnahmen, entspannten Winnie und ich uns nach dem Essen, als sie mir in aller Ruhe mitteilte, daß sie sich in Orlando einer Gruppe von Frauen anschließen wollte, die am nächsten Tag vor dem Pass Office demonstrieren würden. Diese Ankündigung brachte mich ein wenig aus der Fassung, denn wenn mir ihre Bereitschaft, sich zu engagieren, auch gefiel und ich ihren Mut bewunderte, hatte ich doch auch Bedenken. Winnie hatte sich seit unserer Hochzeit zunehmend politisieren lassen, und sie hatte sich der Ortsgruppe der ANC-Frauenliga in West-Orlando angeschlossen. Ich hatte sie in allem bestärkt.
Jetzt sagte ich ihr, daß ich ihren Entschluß zwar begrüßte, sie aber auch warnen müßte, denn es handele sich um einen ernsten Schritt. Durch eine einzige Handlung werde sich ihr Leben radikal ändern. Nach afrikanischen Maßstäben stammte Winnie aus einer wohlhabenden Familie, und sie war gegen manche der unangenehmeren Realitäten des Lebens in Südafrika abgeschirmt worden. Zumindest hatte sie sich wegen ihrer nächsten Mahlzeit niemals Sorgen zu machen brauchen. Vor unserer Hochzeit hatte sie sich in Kreisen bewegt, in denen relativer Reichtum und Luxus herrschten, ein Leben, das so ganz anders war, als das von Freiheitskämpfern, die nur allzuoft von der Hand in den Mund lebten.
Falls sie verhaftet würde, erklärte ich ihr, würde sie mit Sicherheit von ihrem Arbeitgeber, der Bezirksverwaltung, entlassen werden – und wir
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