Der lange Weg zur Freiheit
wußten ja beide, daß ihr kleines Gehalt den Haushalt trug. Sie könne wahrscheinlich niemals wieder als Sozialarbeiterin tätig sein, denn das Stigma einer Inhaftierung würde amtliche Stellen zögern lassen, sie wieder einzustellen. Außerdem sei sie schwanger! Ich warnte sie vor den körperlichen Strapazen und den Demütigungen im Gefängnis. Mag sein, meine Reaktion klang grob, doch ich fühlte mich sowohl als Ehemann wie auch als einer der Führer im Kampf dafür verantwortlich, ihr über die Konsequenzen ihrer Handlung reinen Wein einzuschenken. Ich persönlich hatte recht gemischte Gefühle, denn die Sorgen eines Ehemanns und eines Führers sind nicht immer miteinander identisch.
Aber Winnie ist eine entschlossene Person, und ich vermute, meine pessimistische Darstellung hat ihre Entschlossenheit nur noch gefestigt. Sie hörte sich alles an, was ich sagte, und erklärte dann, sie habe sich entschieden. Am nächsten Morgen stand ich früh auf, um das Frühstück zu machen, und dann fuhren wir hinüber zum Sisulus Haus, wo sie sich mit Walters Frau Albertina treffen wollte, einer der Führerinnen des Protests. Dann fuhren wir zur Phefeni-Station in Orlando, wo die Frauen den Zug in die Stadt nehmen wollten. Ich umarmte sie, bevor sie in den Zug stieg. Winnie war nervös, jedoch entschlossen, als sie mir aus dem Zug zuwinkte, und ich hatte das Gefühl, sie breche auf zu einer langen und gefährlichen Reise, deren Ende keiner von uns absehen konnte.
Nach ihrer Ankunft in der City marschierten mehrere hundert Frauen zum Central Pass Office im Zentrum von Johannesburg. Es waren alte Frauen und junge, manche trugen Babies auf dem Rücken, und zum Teil waren sie in eine Art Stammestracht gekleidet, zum Teil in schicke Garderobe. Kaum hatten sie sich, singend und marschierend, vor dem Amtssitz des Commissioners versammelt, als sie auch schon von Dutzenden von bewaffneten Polizisten umzingelt wurden, die sie alle verhafteten, in Polizeitransporter luden und zur Marshall-Square-Polizeistation fuhren. Die Frauen waren durchweg vergnügt, und einige riefen, während sie in den Polizeifahrzeugen fortgefahren wurden, Reportern zu: »Sagt euren Madams, daß wir morgen nicht zur Arbeit kommen werden!« Insgesamt wurden über 1000 Frauen festgenommen.
Ich war über all das im Bilde, nicht weil ich der Mann einer der Verhafteten war, sondern weil Mandela und Tambo damit beauftragt wurden, die meisten der festgenommenen Frauen als Anwälte zu vertreten. Schnell begab ich mich zum Marshall Square, um die Verhafteten zu besuchen und Kautionen zu arrangieren. Es gelang mir, Winnie zu sehen, die strahlte, als sie mich erblickte, und so glücklich zu sein schien, wie man das in einer Polizeizelle nur sein kann. Es war, als habe sie mir ein großes Geschenk gemacht, von dem sie wußte, daß es mich erfreuen würde. Ich sagte ihr, ich sei stolz auf sie, doch könne ich nicht bleiben und mit ihr sprechen, da ich eine Menge Anwaltsaufgaben zu erledigen hätte.
Gegen Ende des zweiten Tages war die Zahl der Festgenommenen weiter angewachsen, und nun befanden sich nahezu 2000 Frauen in Haft. Viele von ihnen wurden zum Fort geschafft, wo sie auf ihren Prozeß warteten. Das bereitete nicht nur Oliver und mir, sondern auch der Polizei und den Gefängnisbehörden riesige Probleme. Es gab schlicht nicht genügend Raum, um sie alle unterzubringen. Es gab zuwenig Wolldecken, zuwenig Matten und Toiletten und zuwenig zu essen. Die Zustände im Fort waren beengt und schmutzig. Während im ANC viele, darunter auch ich, darauf bedacht waren, die Frauen gegen Kaution freizubekommen, glaubten Lilian Ngoyi, die nationale Präsidentin der Frauenliga, und Helen Joseph, die Sekretärin der südafrikanischen Frauenföderation, daß es der Echtheit und Wirksamkeit des Protestes diene, wenn die Frauen die Haftstrafe absäßen, zu der sie der Magistrate verurteilen würde. Ich widersprach ihnen, doch machten sie mir unmißverständlich klar, daß dies eine Angelegenheit der Frauen sei, in die sich der ANC – oder auch besorgte Ehemänner – gefälligst nicht einmischen sollten. Ich erklärte Lilian, meiner Meinung nach solle sie die Sache vor einem Beschluß mit den Frauen selbst besprechen, und begleitete sie zu den Zellen, wo sie die Inhaftierten befragen konnte. Es war offenkundig, daß manche der Frauen verzweifelt hofften, gegen Kaution freizukommen, und daß sie nicht ausreichend vorbereitet worden waren auf das, was sie im Gefängnis
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