Der lange Weg zur Freiheit
Reden im allgemeinen verworren. Wir witzelten, wegen der schlechten Akustik des Saals und der wirren, inakkuraten Berichte der Detektive von der Special Branch könnten wir zu Geldstrafen verdonnert werden für das, was wir nicht sagten, eingekerkert für das, was wir nicht hören konnten, und aufgehängt für das, was wir nicht getan hatten.
Jeden Tag um die Mittagszeit durften wir draußen im großen Garten eines benachbarten Pfarrhauses sitzen, wo uns die gefürchtete Mrs. Thayanagee Pilay und ihre Freunde mit einer warmen Mahlzeit versorgten. Fast jeden Tag bereiteten sie für uns ein würziges indisches Essen, und während der Vormittags- und der Nachmittagspausen gab es auch Tee, Kaffee und Sandwiches. Diese Pausen waren so etwas wie winzige Urlaube vom Prozeß, und sie boten die Gelegenheit, mit anderen über Politik zu diskutieren. Jene Augenblicke im Schatten der Jakarandabäume auf dem Rasen des Pfarrhauses waren die angenehmsten des Prozesses, denn in vielfacher Hinsicht war die Verhandlung eher eine Geduldsprüfung für uns als ein Gerichtsprozeß.
Als wir am Morgen des 11. Oktober zum Gericht aufbrechen wollten, hörten wir über Rundfunk die Meldung, daß Staatsanwalt Oswald Pirow plötzlich einem Herzanfall erlegen sei. Sein Tod war für die Regierung ein schwerwiegender Rückschlag, und von diesem Punkt an nahmen Effektivität und Aggressivität der Krone ab. Im Gerichtssaal hielt Richter Rumpff an jenem Tag einen emotional gefärbten Nachruf auf Pirow und rühmte seinen Scharfsinn und seine Gründlichkeit als Jurist. Obwohl wir von seiner Abwesenheit profitieren würden, löste sein Tod bei uns keine Freude aus. Wir hatten für unseren Gegner eine gewisse Zuneigung entwickelt, denn trotz seiner abwegigen politischen Überzeugungen war Pirow ein humaner Mann ohne den boshaften persönlichen Rassismus der Regierung, die er vertrat. Seine gewohnheitsmäßig höfliche Bezeichnung für uns, nämlich »Afrikaner« (mitunter leistete sich sogar einer unserer eigenen Anwälte den Ausrutscher, uns »Eingeborene« zu nennen), bildete einen deutlichen Kontrast zu seinen politischen Auffassungen von der weißen Vorherrschaft. Auf eine sonderbare Weise schien unsere kleine Welt in der Alten Synagoge im Gleichgewicht, wenn wir allmorgendlich beobachteten, wie Pirow an seinem Tisch die rechtslastige Nuwe Order las und Bram Fischer an unserem Tisch die linke New Age. Daß er uns mehr als 100 Bände aus der Voruntersuchung kostenlos überließ, war eine großmütige Geste, die der Verteidigung eine beträchtliche Summe Geldes ersparte. Rechtsanwalt De Vos wurde neuer Leiter der Kronanwaltschaft, doch an die Eloquenz und die Schärfe seines Vorgängers reichte er nicht heran.
Bald nach Pirows Tod schloß die Anklage die Vorlage ihres Beweismaterials ab. Nunmehr begann sie mit der Befragung von Experten, die mit der des geduldigen Professors Murray anfing, des angeblichen Fachmanns für Kommunismus, der sich in der Voruntersuchung in seinem Fach als so unfähig erwiesen hatte. Von Maisels gnadenlos ins Kreuzverhör genommen, räumte Murray ein, daß die Charta in der Tat ein humanitäres Dokument sei, das sehr wohl die natürlichen Reaktionen und Forderungen von Nichtweißen angesichts der harten Bedingungen in Südafrika zum Ausdruck bringen könne.
Murray war nicht der einzige Zeuge der Krone, der wenig dazu beitrug, die Sache des Staates zu befördern. Trotz der Riesenmenge von sogenanntem Beweismaterial und der Überfülle an Seiten mit den Aussagen ihrer Experten war es der Staatsanwaltschaft nicht gelungen, irgendeinen stichhaltigen Beweis dafür zu finden, daß der ANC Gewalttätigkeit plante, und das wußte sie auch. Dann, im März, schöpfte die Anklage wieder Zuversicht. Sie wollte ihr stärkstes Geschütz auffahren. Mit großem Fanfarenstoß und langem Trommelwirbel in der Presse ließ der Staatsanwalt dem Gericht eine heimlich aufgenommene Rede von Robert Resha vorspielen. Er hatte sie 1956 in seiner Eigenschaft als nationaler Leiter der Freiwilligen von Transvaal vor einer kleinen Gruppe von Freiwilligen gehalten, wenige Wochen bevor wir alle verhaftet worden waren. Im Gerichtssaal war es sehr still, und trotz aller störender Hintergrundgeräusche konnte man Roberts Worte sehr deutlich verstehen.
»Wenn ihr Disziplin habt und die Organisation euch sagt, nicht gewalttätig zu werden, so dürft ihr nicht gewalttätig sein… doch wenn ihr wahre Freiwillige seid und ihr werdet
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