Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
Vom Netzwerk:
schaffen können, wäre ich allein gewesen. Doch der größte Fehler der Behörden bestand darin, uns zusammenzuhalten, denn das Zusammensein verstärkte unsere Entschlußkraft. Wir unterstützten einander und gewannen Kraft voneinander. Was immer wir lernten, was immer wir erfuhren, wir teilten es miteinander, und indem wir es miteinander teilten, vervielfachten wir, was immer wir an individuellem Mut besaßen. Das heißt nicht, daß wir alle in gleicher Weise reagierten auf die Härten, die wir erdulden mußten. Männer besitzen unterschiedliche Fähigkeiten, und sie reagieren unterschiedlich auf Streß. Doch die Stärkeren richteten die Schwächeren auf, und dabei wurden beide stärker. Schließlich mußten wir selbst im Gefängnis mit unserem eigenen Leben zurechtkommen. In gewisser Weise, die sogar von den Behörden anerkannt wurde, waren es nicht die Aufseher, sondern wir selbst, welche die Ordnung im Gefängnis aufrechterhielten.
    Als Anführer muß man manchmal Aktionen unternehmen, die unpopulär sind oder deren Ergebnisse über Jahre hinweg unbekannt bleiben. Es gibt Siege, deren Ruhm einzig in der Tatsache liegt, daß die sie kennen, die sie errungen haben. Dies gilt besonders für das Gefängnis, wo man Trost darin finden muß, seinen Idealen treu zu bleiben, auch wenn sonst niemand etwas davon weiß.
    Ich befand mich jetzt am Rande des Geschehens, aber ich wußte auch, daß ich den Kampf nicht aufgeben würde. Ich war in einer anderen, einer tödlichen Arena, einer Arena, in der es als Publikum nur uns selbst und unsere Unterdrücker gab. Wir betrachteten den Kampf im Gefängnis als einen Mikrokosmos des Kampfes insgesamt. Wir würden drinnen genauso kämpfen wie wir draußen gekämpft hatten. Der Rassismus und die Unterdrückung waren die gleichen; ich kämpfte einfach zu anderen Bedingungen.
    Gefängnis und Behörden haben sich verschworen, jeden Mann seiner Würde zu berauben. Das an sich verbürgte, daß ich überleben würde, denn jeder Mann oder jede Institution, die versuchen, mich meiner Würde zu berauben, werden verlieren, weil ich davon nicht zu trennen bin, um keinen Preis und unter keinem Druck. Niemals zweifelte ich ernsthaft daran, daß ich nicht doch eines Tages aus dem Gefängnis kommen würde. Ich glaubte nie daran, daß eine lebenslängliche Gefängnisstrafe tatsächlich lebenslänglich bedeuten und ich hinter Gittern sterben würde. Vielleicht verdrängte ich diesen Gedanken, weil es eine zu unangenehme Vorstellung war. Aber ich wußte immer, daß ich eines Tages wieder Gras unter meinen Füßen fühlen und als freier Mann im Sonnenschein Spazierengehen würde.
     
     
    JedenMorgen um 5 Uhr 30 weckte uns der Nachtwärter, der am Ende unseres Korridors eine Messingglocke ertönen ließ und rief: »Word wakker! Staan op!« (»Wacht auf! Steht auf!«) Ich bin immer ein Frühaufsteher gewesen, und diese Stunde war keine Last für mich. Obwohl wir um 5 Uhr 30 geweckt wurden, ließ man uns erst um 6 Uhr 45 aus unseren Zellen, denn bis dahin sollten wir unsere Zellen säubern und die Matten und Decken zusammenlegen. Fließendes Wasser gab es in unseren Zellen nicht, und anstelle von Toiletten gab es Sanitäreimer, »Ballies« genannt. Die Ballies hatten einen Durchmesser von 25 Zentimetern und oben einen konkaven Porzellandeckel, der Wasser enthalten konnte. Mit diesem Wasser sollten wir uns rasieren und Hände und Gesicht waschen.
    Wenn wir um 6 Uhr 45 aus unseren Zellen treten durften, leerten wir als erstes unsere Ballies. Sie mußten in den Ausgüssen am Ende des Gangs gründlich gereinigt werden, sonst verbreiteten sie Gestank. Das einzig Angenehme beim Säubern der Ballies war der Augenblick in jenen frühen Tagen, zu dem wir mit einem unserer Gefährten ein geflüstertes Wort wechseln konnten. Die Wärter hielten sich nicht in der Nähe auf, wenn wir die Ballies säuberten, und so hatten wir Gelegenheit, leise miteinander zu sprechen.
    Während der ersten Monate wurde uns das Frühstück von Gefangenen aus der allgemeinen Abteilung in unsere Zellen gebracht. Es bestand aus Mealie-Porridge, Mais- oder Kornflocken, welche die gewöhnlichen Gefangenen in eine Schale klatschten, die sie dann um die Gitterstäbe unserer Zelle drehten. Das war ein schlauer Trick, der eine geschickte Hand erforderte, sollte kein Porridge verschüttet werden.
    Nach einigen Monaten wurde uns das Frühstück in einem alten metallenen Ölbehälter in den Hof geliefert. Mit schlichten Metallschalen bedienten wir

Weitere Kostenlose Bücher