Der lange Weg zur Freiheit
den wenigen festlichen Gelegenheiten, alte Freunde und neue Gesichter begrüßen zu können, doch während jener ersten Woche war die Atmosphäre so bedrückend, daß wir nicht einmal imstande waren, einander zu begrüßen. Wir hatten so viele Aufseher wie Gefangene, und sie setzten mit Drohungen und Einschüchterungen jede Vorschrift durch.
In der ersten Woche begannen wir mit der Arbeit, die uns während der nächsten Wochen beschäftigen sollte. Jeden Morgen wurde am Eingang zum Gefängnishof eine Ladung Steine etwa in der Größe von Bällen abgeladen. Mit Hilfe von Schubkarren transportierten wir die Steine zur Hofmitte. Wir erhielten Vierpfundhämmer oder, für größere Steine, Vierzehnpfundhämmer. Unsere Aufgabe war es, die Steine zu Kies zu zermalmen. Wir wurden in vier Reihen eingeteilt, jeweils rund anderthalb Meter voneinander entfernt, und wir saßen im Schneidersitz auf dem Boden. Jeder von uns erhielt einen dicken Gummiring, aus Autoreifen gefertigt, und dort hinein hatte er die Steine zu legen. Der Ring sollte Schutz bieten gegen umherfliegende Steinsplitter, doch das tat er so gut wie nie. Um unsere Augen zu schützen, trugen wir Behelfsmasken aus Draht.
Zwischen uns gingen Aufseher auf und ab, um Schweigen zu erzwingen. Während der ersten Wochen kamen Wärter aus anderen Abteilungen und auch anderen Gefängnissen und starrten uns an, als seien wir eine Sammlung seltener, in Käfigen gehaltener Tiere. Die Arbeit war langweilig und schwierig; sie war nicht anstrengend genug, um uns warm zu halten, aber doch so schwer, daß alle unsere Muskeln schmerzten.
Juni und Juli waren die ödesten Monate auf Robben Island. Winter lag in der Luft, und die Regenfälle setzten jetzt ein. Es schien nie wärmer zu sein als fünf Grad Celsius. Selbst in der Sonne zitterte ich in meinem leichten Khakihemd. Damals begriff ich zum erstenmal die Redensart, die Kälte in den Knochen zu spüren. Zur Mittagszeit hatten wir eine Essenspause. In der ersten Woche bekamen wir alle Suppe, die abscheulich stank. Am Nachmittag durften wir uns für eine halbe Stunde unter strenger Aufsicht körperlich betätigen. Flott marschierten wir im Gänsemarsch im Hof herum.
An einem der ersten Tage des Steineklopfens befahl ein Wärter Kathy, einen mit Kies beladenen Schubkarren zu einem beim Eingang geparkten Lastwagen zu schieben. Kathy war ein schlanker, an physische Arbeit nicht gewohnter Mann. Er konnte die Karre nicht bewegen. Die Wärter brüllten: »Laat daadie kruiwa loop!« (»Laß die Schubkarre laufen!«) Als es Kathy gelang, die Karre ein Stückchen vorwärtszubewegen, drohte sie umzukippen, und die Wärter begannen zu lachen. Ich konnte erkennen, daß Kathy entschlossen war, ihnen keinen Grund zur Heiterkeit zu geben. Da ich wußte, wie man mit einer Schubkarre umgeht, sprang ich auf, um ihm zu helfen. Bevor mir befohlen wurde, mich wieder zu setzen, gelang es mir, Kathy zu sagen, er solle die Karre langsam bewegen, es komme mehr auf Gleichgewicht als auf Kraft an. Er nickte und bewegte die Schubkarre vorsichtig über den Hof. Die Wärter hörten auf zu grinsen.
Am nächsten Morgen stellten die Behörden einen hiesigen Kübel auf den Hof und verkündeten, bis Ende der Woche müsse er halbgefüllt sein. Wir arbeiteten angestrengt und schafften es. In der folgenden Woche verkündete der diensthabende Wärter, diesmal müsse der Kübel dreiviertel voll werden. Wir arbeiteten mit großem Fleiß, und es gelang uns. In der nächsten Woche lautete der Befehl, der Kübel müsse bis an den Rand gefüllt werden. Wir wußten, daß wir dies nicht viel länger ertragen konnten, sagten jedoch nichts. Wir schafften es sogar, den Kübel vollständig zu füllen, doch die Wärter hatten uns provoziert. Flüsternd einigten wir uns auf eine Politik: keine Leistungsquoten. In der folgenden Woche begannen wir unseren ersten Bummelstreik auf der Insel: Wir arbeiteten mit weniger als der Hälfte der Geschwindigkeit als zuvor, um gegen die übermäßigen und unfairen Forderungen zu protestieren. Die Aufseher erkannten das sofort und bedrohten uns, doch wir steigerten unser Tempo nicht, sondern behielten diese Bummelstrategie bei, solange wir auf dem Hof arbeiteten.
Robben Island hatte sich verändert, seit ich 1962 für zwei Wochen dort gewesen war. 1962 waren dort nur wenige Gefangene gewesen; der Ort wirkte mehr wie ein Experiment denn wie ein richtiges Gefängnis. Zwei Jahre später war Robben Island ohne Frage der härteste und schärfste
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