Der lange Weg zur Freiheit
»europäisches« Nahrungsmittel sei.
Typischerweise erhielten wir noch weniger als die kärglichen Mengen, die uns nach den Bestimmungen zustanden. Der Grund war, daß in der Küche viel geschmuggelt wurde. Die Köche, alles gewöhnliche Gefangene, behielten das beste Essen für sich oder für ihre Freunde. Oft hoben sie die schmackhaftesten Speisen für die Wärter auf und erhielten dafür Vergünstigungen oder Vorzugsbehandlungen.
Um 20 Uhr schloß sich der Nachtwärter mit uns in den Korridor ein und schob den Schlüssel durch ein kleines Loch in der Tür einem draußen wartenden Wärter zu. Dann lief der Wärter den Korridor auf und ab und befahl uns, schlafen zu gehen. Der Ruf »Licht aus« war auf Robben Island nie zu hören, da in unserer Zelle Tag und Nacht eine einzelne, von Draht umgebene Glühbirne brannte. Später erlaubte man Gefangenen, die sich dem Studium widmeten, bis 22 oder 23 Uhr zu lesen.
Die Akustik im Korridor war ziemlich gut, und so versuchten wir, uns vor dem Einschlafen ein wenig zu unterhalten. Aber wenn wir unser Flüstern deutlich hören konnten, dann natürlich auch der Aufseher, der dann schrie: »Stilte in die gang!« (»Ruhe im Gang!«) Der Wärter ging einige Male hin und her, um sich zu vergewissern, daß wir nicht lasen oder schrieben. Nach einigen Monaten streuten wir eine Handvoll Sand auf den Korridorboden, damit wir die Schritte des Aufsehers hören und rechtzeitig verstummen oder Schmuggelware verstecken konnten. Nur wenn wir still waren, setzte der Aufseher sich auf einen Stuhl im kleinen Büro am Korridorende, wo er dann bis zum Morgen vor sich hin döste.
Eines Morgens, mehrere Tage nach meinem Treffen mit Bram und Joel, wurden wir zum Hauptbüro gebracht. Es lag etwa 400 Meter entfernt und war ein einfacher Steinbau, der dem unsrigen ähnelte. Dort mußten wir uns hintereinander aufstellen und uns die Fingerabdrücke abnehmen lassen. Das gehörte zur Gefängnisroutine. Doch während ich wartete, fiel mir ein Aufseher mit Kamera auf. Nachdem unsere Fingerabdrücke abgenommen waren, befahl uns der Oberaufseher, uns zum Fotografieren aufzustellen. Ich bedeutete meinen Gefährten, sich nicht zu rühren, und erklärte dem Wärter: »Ich möchte das Dokument vom Commissioner of Prisons sehen, das Sie ermächtigt, Fotos von uns zu machen.« Gefangene zu fotografieren bedurfte einer solchen Genehmigung.
Es war stets von Vorteil, mit den Vorschriften vertraut zu sein, da die Aufseher sie häufig selbst nicht kannten und mit überlegenem Wissen eingeschüchtert werden konnten. Der Aufseher war über meine Forderung verdutzt, er konnte keinerlei Erklärung geben oder irgend etwas Schriftliches vom Gefängniskommissar vorweisen. Er drohte, uns zu verklagen, falls wir uns nicht fotografieren ließen, doch ich erklärte, wenn er keine Genehmigung vorweisen könne, würde es keine Bilder geben, und man ließ die Angelegenheit auf sich beruhen.
In der Regel lehnten wir es ab, uns im Gefängnis fotografieren zu lassen, weil es im allgemeinen entwürdigend ist, als Gefangener aufgenommen zu werden. Allerdings gab es ein Foto, dem ich zustimmte, das einzige, zu dem ich auf Robben Island jemals mein Einverständnis gab.
Einige Wochen später gab uns der Oberaufseher eines Morgens statt der Hämmer für unsere Arbeit im Hof Nadel und Faden sowie einen Haufen abgetragener Gefängniskluft. Wir wurden angewiesen, die Kleidung zu reparieren, doch wir stellten bald fest, daß sich die meisten Sachen nicht mehr reparieren ließen. Das kam uns sonderbar vor, und so fragten wir uns, wer sich das hatte einfallen lassen. Später am Vormittag, gegen elf Uhr, ging das Vordertor auf, und der kommandierende Offizier und zwei Männer in Zivil traten ein. Der Kommandant erklärte, die beiden Besucher seien Reporter und Fotografen des Daily Telegraph in London. Er sagte das so, als sei der Besuch von Angehörigen der internationalen Presse für uns eine regelmäßige Zerstreuung.
Obwohl die Männer unsere ersten offiziellen Besucher waren, betrachteten wir sie mit Skepsis. Erstens kamen sie unter den Auspizien der Regierung hierher, und zweitens wußten wir, daß Daily Telegraph eine konservative Zeitung war, die mit unserer Sache kaum sympathisierte. Wir wußten, daß in aller Welt über unsere Lage große Besorgnis herrschte und daß es im Interesse der Regierung war zu zeigen, daß wir nicht mißhandelt wurden.
Die beiden Journalisten gingen langsam im Hof umher und beobachteten uns. Wir hielten
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