Der lange Weg zur Freiheit
unsere Köpfe gesenkt und konzentrierten uns auf unsere Arbeit. Nachdem sie eine Runde gemacht hatten, griff einer der Wärter nach meiner Schulter und erklärte: »Mandela, komm, du wirst jetzt reden.« In jenen frühen Tagen sprach ich oft im Namen meiner Mitgefangenen. Die Gefängnisvorschriften besagten ausdrücklich, daß jeder Gefangene nur für sich selbst sprechen durfte. Das sollte die Kraft der Organisation lähmen und die kollektive Stärke neutralisieren. Wir protestierten gegen diese Vorschrift, aber erreichten nur wenig. Es wurde uns nicht einmal gestattet, das Wort »wir« zu verwenden, wenn wir Beschwerden vorbrachten. Doch wenn die Behörden in den ersten Jahren jemanden brauchten, der im Namen der anderen sprach, so wurde ich ausgewählt.
Ich sprach mit dem Reporter, einem Mr. Newman, ungefähr 20 Minuten lang und äußerte mich freimütig über das Gefängnis und auch über den Rivonia-Prozeß. Er schien ein vernünftiger Mensch zu sein, und am Ende unseres Gesprächs sagte er, er hätte gern, wenn der Fotograf ein Bild von mir machen könnte. Ich zögerte, gab in diesem Fall aber nach, weil ich wußte, das Foto würde nur in Übersee veröffentlicht und unserer Sache vielleicht helfen, sofern der Artikel wenigstens ein klein wenig freundlich ausfiel. Ich erklärte, ich wäre einverstanden, sofern auch Mr. Sisulu mit mir aufs Foto käme. Das Bild zeigt uns beide, Vie wir uns auf dem Hof über irgend etwas unterhalten, woran ich mich nicht mehr erinnern kann. Ich sah den Zeitungsartikel niemals, und ich hörte auch nichts darüber, Kaum waren die Reporter verschwunden, als die Wärter die Gefängniskluft entfernten und uns wieder die Hämmer in die Hand drückten.
Die Leute vom Telegraph waren die ersten einer kleinen Gruppe von Besuchern während jener frühen Monate. Da der Rivonia-Prozeß bei den Menschen noch in frischer Erinnerung war, war die Regierung darauf bedacht, der internationalen Gemeinschaft zu zeigen, daß wir anständig behandelt wurden. In der Presse waren Berichte erschienen über die inhumanen Bedingungen auf der Insel; auch würden wir geschlagen und gefoltert. Diese Beschuldigungen brachten die Regierung in Verlegenheit, und um ihnen entgegenzuwirken, ließ sie immer wieder Leute von draußen kommen, die solche kritischen Berichte entkräften sollten.
Wir wurden kurz von einem britischen Rechtsanwalt besucht, der sich vor dem Internationalen Gerichtshof für die Unabhängigkeit Namibias verwandt hatte, und danach wurden wir informiert, ein Mr. Hynning, Vertreter der amerikanischen Anwaltsvereinigung, wolle uns besuchen. Amerikaner waren damals eine Neuheit in Südafrika, und ich war neugierig, dem Vertreter einer so erlauchten Rechtsorganisation zu begegnen.
Am Tag von Mr. Hynnings Besuch wurden wir in den Hof gerufen. Der Amerikaner kam in Begleitung von General Steyn, dem Commissioner of Prisons, der sich auf der Insel selten sehen ließ. General Steyn war eine ungewöhnliche Erscheinung in der Gefängnisverwaltung, ein höflicher und gebildeter Mann. Seine Anzüge waren stets von bester Qualität und von modischem Schnitt. Er sprach von uns in höflichem Ton als »Gentlemen« und nahm sogar seinen Hut vor uns ab, was nie jemand aus der Gefängnisverwaltung getan hatte. Dennoch unterdrückte uns General Steyn durch Unterlassung anstelle von Veranlassung (im Englischen ein Wortspiel mit »ommission« und »commission«). Im Grunde war er auf einem Auge blind gegenüber dem, was auf der Insel vor sich ging. Seine gewohnheitsmäßige Abwesenheit ermutigte die brutaleren Gefängnisbeamten und gab ihnen eine uneingeschränkte Vollmacht. In liebenswürdigster Weise stellte der General unseren Gast vor und erklärte: »Gentlemen, wählen Sie bitte Ihren Sprecher.« Etliche Gefangene riefen meinen Namen.
General Steyn nickte in meine Richtung, und ich erhob mich. Im Unterschied zu General Steyn war Mr. Hynnings ein untersetzter, ungepflegt wirkender Mann. Ich dankte ihm für seinen Besuch und sagte, wir fühlten uns durch seine Anwesenheit geehrt. Dann faßte ich unsere Beschwerden zusammen, wobei ich mit der wichtigsten begann, daß wir nämlich politische Gefangene seien und keine Kriminellen und daß wir als solche behandelt werden sollten. Ich nannte unsere Beschwerden über das Essen, über unsere Lebensbedingungen und über die Arbeit im einzelnen. Während ich sprach, unterbrach mich Mr. Hynning unaufhörlich. Als ich die langen Stunden geistloser Arbeit
Weitere Kostenlose Bücher