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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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Vorposten des südafrikanischen Gefängnissystems. Und es war ein Härtetest nicht nur für die Gefangenen, sondern auch für das Gefängnispersonal. Die farbigen Wärter, die Zigaretten und Sympathie verteilt hatten, sie waren nicht mehr da. Die Wärter waren Weiße, die überwiegend Afrikaans sprachen, und sie forderten ein Herr-Knecht-Verhältnis. Sie befahlen uns, sie »Baas« zu nennen, was wir ablehnten. Die Rassentrennung auf Robben Island war absolut: Es gab keine schwarzen Wärter und keine weißen Gefangenen.
    Die Verlegung von einem Gefängnis in ein anderes bedarf immer einer Zeit der Anpassung. Doch die Fahrt nach Robben Island war wie die Reise in ein anderes Land. Die Isolierung machte aus der Insel nicht nur irgendein Gefängnis, sondern eine Welt für sich, weit entfernt von jener, aus der wir gekommen waren. Die gehobene Stimmung, mit der wir Pretoria verlassen hatten, war ausgelöscht worden durch die strenge Atmosphäre; wir hatten uns klarzumachen, daß unser Leben unerbittlich düster sein würde. In Pretoria hatten wir uns verbunden gefühlt mit unseren Anhängern und unseren Familien; auf der Insel fühlten wir uns abgeschnitten, was wir in der Tat waren. Wir hatten den Trost zusammenzusein, aber das war auch der einzige Trost. Meine Bedrückung wurde rasch abgelöst von dem Gefühl, ein neuer, andersartiger Kampf habe begonnen.
    Seit dem ersten Tag hatte ich dagegen protestiert, kurze Hosen tragen zu müssen. Ich verlangte, den Gefängnisleiter zu sprechen, und stellte eine Liste von Beschwerden zusammen. Die Wärter ignorierten meine Proteste, doch gegen Ende der zweiten Woche fand ich, wie beiläufig auf den Boden meiner Zelle geworfen, ein Paar alter Khakihosen. Kein Nadelstreifenanzug samt Weste hat mir jemals soviel Freude bereitet. Doch bevor ich sie anzog, stellte ich erst fest, ob auch meine Kameraden solche Hosen erhalten hatten.
    Sie hatten sie nicht, und ich erklärte dem Wärter, er solle meine zurücknehmen. Ich bestand darauf, alle afrikanischen Gefangenen sollten lange Hosen haben. Der Wärter murrte: »Mandela, Sie haben gesagt, Sie wollen lange Hosen, und jetzt, wo wir Ihnen welche geben, wollen Sie sie nicht.« Der Wärter weigerte sich, Hosen anzufassen, die ein Schwarzer getragen hatte, und schließlich kam der Commanding Officer selbst in meine Zelle, um sie abzuholen. »Also gut, Mandela«, sagte er, »Sie werden die gleiche Kleidung tragen müssen wie alle anderen.« Ich erwiderte, wenn er bereit sei, mir lange Hosen zu geben, warum könnten dann nicht auch alle anderen sie bekommen? Er gab keine Antwort.
     
     
    Am Ende unserer ersten zwei Wochen auf der Insel wurden wir informiert, am folgenden Tag kämen unsere Anwälte Bram Fischer und Joel Joffe zu Besuch. Als sie angekommen waren, begleitete uns eine Eskorte zum Besuchsbereich. Der Zweck ihres Besuches war doppelter Natur: Sie wollten sehen, wie wir uns in unserem neuen Leben eingerichtet hatten; und sie wollten sich vergewissern, ob wir noch immer keine Berufung gegen unsere Urteile einlegen wollten. Es war erst einige Wochen her, daß ich sie das letzte Mal gesehen hatte, doch es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Sie erschienen mir wie Besucher aus einer anderen Welt.
    Wir saßen in einem leeren Raum, nur ein Major überwachte von draußen die Beratung. Am liebsten hätte ich sie umarmt, doch die Anwesenheit des Majors zwang mich zur Zurückhaltung. Ich erklärte ihnen, wir seien alle wohlauf, und sagte weiter, wir wollten keine Berufung aus all den Gründen, die wir früher vorgebracht hatten, einschließlich der Tatsache, daß wir durch Berufung die Fälle der anderen ANC-Angeklagten nicht behindern wollten. Bram und Joel schienen daraufhin zu resignieren, obwohl ich wußte, daß Bram glaubte, wir sollten Berufung einlegen.
    Zum Schluß unseres Gesprächs fragte ich Bram kurz nach Molly, seiner Frau. Kaum hatte ich ihren Namen genannt, erhob sich Bram, wandte sich ab und verließ abrupt das Zimmer. Einige Minuten später kehrte er zurück, wieder gefaßt, und nahm das Gespräch wieder auf, jedoch ohne meine Frage zu beantworten.
    Unsere Zusammenkunft endete kurz darauf, und als wir mit dem Major zu unseren Zellen zurückgingen, fragte er: »Mandela, Bram Fischers Benehmen hat Sie wohl ziemlich erstaunt?« Ich sagte, so sei es. Er erzählte mir, daß Molly eine Woche zuvor bei einem Autounfall ums Leben gekommen sei. Bram, sagte er, hatte am Steuer gesessen und einem Tier auf der Straße ausweichen wollen, und

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