Der lange Weg zur Freiheit
sofort alarmiert herüber und kamen auf mich zu. Ich wußte, daß ich gegen Regeln verstieß, doch ich hoffte zugleich, die Wärter wären durch meine ungewohnte Handlung zu überrascht, daß sie nichts unternehmen würden, um mich aufzuhalten. Diese Hoffnung erwies sich als richtig.
Als ich die beiden Männer erreichte, befahl der kommandierende Offizier schroff: »Mandela, gehen Sie zurück an Ihren Platz. Niemand hat Sie gerufen.« Ich beachtete ihn nicht und wandte mich an Aucamp. Ich hätte zu dieser außergewöhnlichen Handlung gegriffen, erklärte ich, weil unsere Klagen nicht beachtet worden seien. Der Offizier unterbrach mich: »Mandela, ich befehle Ihnen, an Ihren Platz zurückzugehen.« Ich wandte mich ihm zu und erklärte in maßvollem Ton: »Ich bin bereits hier und werde nicht zurückgehen.« Ich hoffte, Aucamp werde einverstanden sein, mich anzuhören, doch er musterte mich kalt und wandte sich dann an die Aufseher und sagte ruhig: »Ergreift ihn.«
Ich sprach weiter, als die Aufseher mich abführten. »Bringt ihn zurück in die Zelle«, befahl der kommandierende Offizier. Ich wurde angeklagt und verzichtete wiederum auf eine Verteidigung. Die Strafe in diesem Fall betrug vier Tage in Einzelhaft. Das, was ich getan hatte, enthielt eine Lehre, die ich freilich schon kannte, aber aus Verzweiflung in den Wind geschlagen hatte. Niemand, am wenigsten ein Gefängnisbeamter, kann es leiden, wenn seine Autorität öffentlich in Frage gestellt wird. Um mich anzuhören, hätte Aucamp seinen Untergebenen bloßstellen müssen. Gefängnisbeamte reagieren viel offener auf private Ansprachen. Die beste Methode, um auf Robben Island Änderungen herbeizuführen, bestand darin, zuständige Leute privat und nicht öffentlich zu beeinflussen. Zuweilen bin ich gescholten worden, weil es den Anschein hatte, als passe ich mich den Gefängnisbehörden zu sehr an, doch ich war bereit, die Kritik über mich ergehen zu lassen, wenn ich im Austausch Verbesserungen erreichte.
Die wichtigste Person im Leben jedes Gefangenen ist nicht der Justizminister, nicht der höchste Gefängnisbeamte, nicht einmal der Gefängnisdirektor, sondern der Aufseher in dem jeweiligen Block. Wenn Sie sich erkältet haben und eine zusätzliche Decke haben möchten, dann können Sie eine Petition an den Justizminister richten, doch Sie werden keine Antwort erhalten. Wenn Sie zum Gefängniskommissar gehen, wird er sagen: »Tut mir leid, das ist gegen die Vorschriften.« Der Gefängnisleiter wird erklären: »Wenn ich Ihnen eine zusätzliche Decke gebe, muß ich allen eine geben.« Aber wenn Sie sich an den Aufseher auf Ihrem Zellenkorridor wenden und Sie sich gut mit ihm verstehen, wird er einfach zum Lagerraum gehen und Ihnen eine Decke holen.
Ich habe immer versucht, mich gegenüber den Aufsehern in meinem Block zurückhaltend zu verhalten; Feindseligkeit wäre selbstzerstörerisch gewesen. Es hatte keinen Sinn, unter den Aufsehern einen permanenten Feind zu haben. Es war ANC-Politik, zu versuchen, alle Menschen zu erziehen, selbst unsere Feinde.
Wir glaubten, daß alle Menschen, selbst Gefängnisaufseher, fähig wären, sich zu ändern, und wir taten unser Bestes, um Einfluß auf sie zu nehmen.
Im allgemeinen behandelten wir die Aufseher, wie sie uns behandelten. War ein Mann rücksichtsvoll, waren wir es auch ihm gegenüber. Nicht alle unsere Aufseher waren Ungeheuer. Wir bemerkten gleich zu Anfang, daß unter ihnen einige waren, die an Fairneß glaubten. Dennoch, freundlich zu Aufsehern zu sein war keine leichte Sache, denn sie fanden im allgemeinen den Gedanken, einem schwarzen Mann gegenüber höflich zu sein, abstoßend. Weil es nützlich war, mit Aufsehern zu tun zu haben, die uns gegenüber wohlgesonnen waren, forderte ich häufig bestimmte Männer auf, ausgesuchte Aufseher anzusprechen. Niemand übernahm gern eine solche Aufgabe.
Wir hatten im Steinbruch einen Aufseher, der uns gegenüber besonders feindselig eingestellt zu sein schien. Das war ärgerlich, denn im Steinbruch diskutierten wir gewöhnlich untereinander, und ein Aufseher, der uns nicht zu sprechen erlaubte, war ein großes Hindernis. Ich bat einen bestimmten Kameraden, sich mit diesem Burschen anzufreunden, damit er unsere Gespräche nicht mehr unterbrach. Der Aufseher war ziemlich grob, doch bald begann er sich in Gegenwart dieses einen Gefangenen ein wenig zu entspannen. Eines Tages bat der Aufseher diesen Kameraden um seine Jacke, damit er sie auf den Boden legen
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