Der lange Weg zur Freiheit
aus rein ethischen Gründen aus und bezeichneten sie als moralisch höherwertiger als jede andere Methode. Diese Idee fand einen eifrigen Befürworter in Manilal Gandhi, dem Sohn des Mahatma und Herausgeber der Zeitung Indian Opinion; er war prominentes Mitglied des SAIC. In seiner sanftmütigen Art wirkte Gandhi ganz wie die Personifizierung von Gewaltlosigkeit, und er beharrte darauf, die Kampagne solle den Richtlinien folgen, die sein Vater in Indien ausgegeben hatte.
Andere waren der Meinung, wir sollten die Frage nicht unter dem Gesichtspunkt der Prinzipien, sondern der Taktik angehen und die Methode anwenden, welche die Umstände verlangten. Wenn eine bestimmte Methode oder Taktik uns instand setzte, den Gegner zu besiegen, dann sollten wir sie anwenden. In diesem Fall war der Staat weit mächtiger als wir, und jeder unserer Versuche, Gewalt einzusetzen, müßte für uns verheerende Folgen haben. Das entsprach meiner Ansicht. Ich betrachtete Gewaltlosigkeit nach dem Gandhischen Modell nicht als unantastbares Prinzip, sondern als Taktik, die je nach Situation anzuwenden sei. Das Prinzip war nicht so wichtig, daß man der Strategie selbst dann folgen sollte, wenn sie selbstzerstörerisch sein würde, wie Gandhi glaubte. Ich wollte gewaltlosen Protest nur, solange er effektiv war. Das war, trotz Manilal Gandhis starker Einwände, die vorherrschende Ansicht.
Der gemeinsame Planungsrat einigte sich auf ein offenes Programm von Nichtkooperation und Gewaltlosigkeit. Zwei Stadien der Mißachtung wurden vorgeschlagen. Im ersten Stadium würde eine kleine Anzahl gutausgebildeter Freiwilliger in einer Handvoll städtischer Gebiete gegen bestimmte Gesetze verstoßen. Sie würden zum Beispiel ohne Erlaubnis verbotene Viertel betreten, Einrichtungen benutzen, die ausschließlich Weißen vorbehalten waren, wie Toiletten, bestimmte Eisenbahnabteile, Wartezimmer, Eingänge zu Postämtern. Sie würden nach der Sperrstunde absichtlich in der Stadt bleiben. Jede Gruppe von Widerständlern würde einen Führer haben, der die Polizei vorab über den Akt des Ungehorsams informierte, so daß Verhaftungen mit einem Minimum an Störungen vorgenommen werden könnten. Das zweite Stadium sollte in massenhafter Gesetzesmißachtung bestehen, begleitet von Streiks und Arbeitskämpfen überall im Land.
Vor Beginn der Mißachtungskampagne wurde am 22. Juni in Durban eine Demonstration abgehalten, genannt Day of the Volunteers (»Tag der Freiwilligen«). Häuptling Luthuli, Präsident des ANC von Natal, und Dr. Naicker, Präsident des Indian Congress von Natal, sprachen auf der Veranstaltung und befürworteten die Kampagne. Als Hauptredner war ich bereits am Tag zuvor nach Durban gefahren. Ungefähr 10000 Menschen hatten sich versammelt, und ich erklärte der Menge, die Mißachtungskampagne werde die machtvollste Aktion sein, die von den unterdrückten Massen in Südafrika je unternommen worden sei. Ich hatte noch nie zuvor zu einer so großen Menschenmenge gesprochen; es war ein erhebendes Erlebnis. Man kann zu einer Menschenmasse nicht reden wie zu zwei Dutzend Zuhörern. Dennoch habe ich mich immer bemüht, ob vor vielen oder wenigen Zuhörern, alles mit gleicher Sorgfalt zu erklären. Ich erklärte den Menschen, daß sie Geschichte machen und die Aufmerksamkeit der Welt auf die rassistische Politik Südafrikas lenken würden. Ich betonte, die Einheit zwischen Afrikanern, Farbigen und Indern in Südafrika sei endlich Realität geworden.
Überall im Land beteiligten sich am 26. Juni Menschen mit Mut, Enthusiasmus und Sinn für Geschichte an der Mißachtung von Gesetzen. Die Kampagne begann in den frühen Morgenstunden in Port Elizabeth, wo 33 Widerständler unter der Leitung von Raymond Mhlaba durch den »Nur-für-Weiße «-Eingang einen Bahnhof betraten und anschließend festgenommen wurden. Unter den Anfeuerungsrufen von Freunden und Familienangehörigen sangen sie Freiheitslieder beim Marsch durch den Eingang. Die Widerständler und die Menge riefen abwechselnd: »Mayibuye Afrika!« (»Laßt Afrika zurückkehren!«)
Am Morgen des 26. war ich im ANC-Büro und beaufsichtigte die für diesen Tag geplanten Demonstrationen. Die Freiwilligengruppe von Transvaal sollte mittags in einer Township bei Boksburg östlich von Johannesburg in Aktion treten. Angeführt von Reverend N. B. Tantsi, sollten sie ihre Verhaftung provozieren, indem sie die Township ohne Passierscheine betraten. Reverend Tantsi war ein älterer Mann, Geistlicher der
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