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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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einer Nebenstraße in eine Hauptstraße einbiegen wollte, schaute ich nicht nach rechts und links und stieß mit einem Auto zusammen. Der Schaden war gering, doch jetzt würde ich mit Sicherheit zu spät kommen. Der andere Fahrer war ein verständiger Mensch, und wir einigten uns schnell, unsere Kosten selbst zu tragen.
    Als ich die Prüfungsstelle erreichte, beobachtete ich eine weiße Frau vor mir, die gerade mitten in ihrer Fahrprüfung war. Sie fuhr vorsichtig und vorschriftsmäßig. Am Ende der Prüfung sagte der Prüfer zu ihr: »Danke! Würden Sie das Auto bitte dort drüben parken«, und deutete auf einen Platz in der Nähe. Die Frau war gut genug gefahren, um die Prüfung zu bestehen, doch als sie zum Parkplatz fuhr, nahm sie eine Ecke nicht richtig, und das Hinterrad fuhr über den Bordstein. Der Prüfer kam herbeigeeilt und erklärte: »Tut mir leid, Madam, Sie sind durch die Prüfung gefallen, lassen Sie sich bitte einen neuen Termin geben.« Ich spürte, wie mein Selbstvertrauen dahinschwand. Wenn dieser Kerl eine weiße Frau durchfallen ließ, was für eine Chance hatte ich dann? Doch ich absolvierte die Prüfung recht gut, und als mir der Prüfer am Schluß bedeutete, ich solle das Auto parken, fuhr ich so vorsichtig, daß ich dachte, er werde mich wegen zu langsamen Fahrens bestrafen.
    Sobald ich rechtmäßig fahren durfte, wurde ich ein Ein-Mann-Taxiservice. Man war damals gehalten, Kameraden und Freunde zu fahren. Folglich hatte ich den Auftrag erhalten, dein besagten Brief zu Dr. Moroka zu befördern. Das war für mich nicht anstrengend, denn ich habe es immer als angenehm empfunden, während des Fahrens aus dem Fenster zu schauen. Ich schien meine besten Ideen zu haben, während ich im Auto durch die Landschaft fuhr und der Wind durch das Fenster pfiff.
    Auf dem Weg nach Thaba ‘Nchu kam ich durch Kroonstadt, eine konservative Stadt im Freistaat, ungefähr 180 Kilometer südlich von Johannesburg. Ich fuhr eine Steigung hinauf und sah vor mir zwei weiße Jungen auf Fahrrädern. Ich war als Fahrer noch ein wenig unsicher und kam den Jungen, von denen der eine plötzlich abbog, ohne Zeichen zu geben, zu nahe, und so stießen wir zusammen. Er wurde von seinem Rad geschleudert und stöhnte vor Schmerzen, als ich ausstieg, um ihm zu helfen. Er hatte die Arme ausgestreckt und bedeutete mir, ihn aufzuheben, doch gerade als ich das tun wollte, schrie ein weißer Lastwagenfahrer mir zu, ich solle den Jungen bloß nicht anfassen. Der Lastwagenfahrer erschreckte den Jungen, der seine Arme sinken ließ, so als wolle er von mir nicht aufgehoben werden. Er war nicht schlimm verletzt, und der Lastwagenfahrer brachte ihn zur nahe gelegenen Polizeistation.
    Kurz darauf erschien der örtliche Polizist; der weiße Sergeant warf mir einen Blick zu und meinte: »Kaffer, jy sal kak vandag!« (»Kaffer, du wirst heute scheißen!«) Der Unfall und die Gewalttätigkeit seiner Worte brachten mich durcheinander, doch ich erklärte ihm in keineswegs unsicheren Worten, ich würde scheißen, wann es mir gefalle, und nicht, wenn es mir ein Polizist sage. Daraufhin zog der Sergeant sein Notizbuch hervor, um meine Personalien aufzunehmen. Weiße Polizisten waren überrascht, wenn ein schwarzer Mann Englisch sprechen konnte, mehr noch, wenn er drohte, sie vor Gericht zu bringen.
    Nachdem ich mich ausgewiesen hatte, wandte er sich dem Wagen zu, um ihn zu durchsuchen. Unter der Fußmatte zog er ein Exemplar der linken Wochenzeitung The Guardian hervor, das ich gleich nach dem Unfall dort versteckt hatte. (Den Brief an Dr. Moroka hatte ich unter mein Hemd gesteckt.) Er warf einen Blick auf den Titel und hielt die Zeitung dann hoch in die Luft wie ein Pirat seine Beute. »Wragtig ons het ‘n Korummuni gevangt!« (»Wirklich, wir haben einen Kommunisten gefangen!«) rief er. Die Zeitung schwenkend, eilte er davon.
    Der Sergeant kehrte nach mehr als einer Stunde zurück, in Begleitung eines anderen Polizeibeamten. Dieser Sergeant, ebenfalls ein Afrikaner, war darauf bedacht, seine Pflicht korrekt zu erfüllen. Für die Polizeiunterlagen müsse er an der Unfallstelle Messungen vornehmen, erklärte er. Ich erklärte dem Sergeant, es sei nicht richtig, Messungen in der Nacht vorzunehmen, wenn der Unfall bei Tageslicht geschehen sei. Ich fügte hinzu, ich wolle die Nacht in Thaba ‘Nchu verbringen, denn ich könne es mir nicht leisten, in Kroonstadt zu bleiben. Der Sergeant sah mich ungeduldig an und fragte: »Wie ist Ihr

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