Der langsame Walzer der Schildkroeten
bei den Hausaufgaben helfe, und das Gesicht von Patrick Poivre d’Arvor im Fernseher. Aber die Loire macht keinen Umweg über Shanghai, soweit ich weiß! Ein Häuschen in Blois, einen Mann beim Gaswerk und Kinder, mit denen ich in den bischöflichen Gärten spazieren gehe, für die ich Kuchen backen und denen ich die Geschichte der Plantagenêts erzählen würde. Sie hatte einen Stadtplan an ihre Küchenwand gehängt, stellte sich davor und schwelgte in Zukunftsvisionen. Immer öfter wünschte sie sich nach Blois. Träumte von Schieferdächern, sandigen Ufern, alten Steinbrücken, Sozialversicherungsunterlagen, die sie ausfüllen sollte, und von Baguettes, frisch aus dem Ofen der Bäckerin. Aber mehr noch als alles andere wünschte sie sich Kinder. Lange hatte sie ihren Kinderwunsch verdrängt, hatte diese Aufgabe, die das Ende ihrer beruflichen Karriere bedeuten würde, immer weiter vor sich hergeschoben, aber inzwischen konnte sie es nicht länger leugnen: Ihr Bauch schrie nach Bewohnern.
Und zu allem Überfluss wimmelte es in Shanghai nur so von Kindern. Sie tollten herum, spielten und tanzten abends in der ganzen Stadt. Wenn sie durch die schmalen Gassen des Zentrums ging, konnte sie den wunderschönen Babys, die sie anlächelten und sie daran erinnerten, dass ihre biologische Uhr unerbittlich tickte, beinahe über den runden Kopf streichen. Fast fünfunddreißig, altes Haus! Wenn du keine verschrumpelte Korinthe zur Welt bringen willst, solltest du dich dringend nach einem Erzeuger umschauen. Sie wollte keinen Freund mit Schlitzaugen. Sie konnte mit Chinesen nicht umgehen. Verstand nicht, wieso sie lachten, schwiegen, wütend zu sein schienen oder das Gesicht verzogen. Ein echtes Rätsel. Neulich hatte sie Elvis, Weis Sekretär, der diesen Spitznamen seinen Koteletten verdankte, gesagt, dass er müde aussah. Hatte er schlecht geschlafen? Hatte er die Grippe? Daraufhin hatte er einen Lachkrampf bekommen und sich gar nicht mehr eingekriegt. Seine Augen verschwanden, er keuchte, weinte, krümmte sich vor Lachen, und sie hatte sich furchtbar einsam gefühlt.
Kurz nach den Feiertagen hatte die Sehnsucht nach ihrer alten Heimat und einem häuslichen Leben sie gepackt. Sie verdächtigte den übers Internet bestellten Plastikweihnachtsbaum, ihre Hormone durcheinandergewirbelt zu haben. Vor Weihnachten war sie noch unbeschwert durch die Gegend gestöckelt, hatte ihren Gewinn berechnet und neue Angebote, neuen Schnickschnack erfunden. Das Handy mit integriertem Make-up-Fach war inzwischen auf dem Markt: ein Riesenerfolg! Ihr Geld setzte auf der Bank Speck an, Wei nickte jede neue Idee ab, die Verträge wurden unterschrieben, die Fließbänder setzten sich in Bewegung und spuckten ein neues Produkt aus, das die ländlichen Regionen eroberte und jede Chinesin in eine hinreißende schlitzäugige Barbie verwandelte. Alles ging rasend schnell.
Zu schnell … Sie kam kaum dazu, Luft zu holen, schon war alles verpackt, bereit zum Verkauf, waren die Gewinnmargen kalkuliert. Unablässig musste sie Neues erfinden. Die Taschenrechner glühen lassen. Sie sehnte sich nach Langsamkeit, Ruhe, einer Atempause, dem sanften Wesen des Anjou, einem Soufflé, das im Ofen aufging.
Sie versuchte, Weis Verkaufsleiterin zu erklären, wie sie sich fühlte, doch die groß gewachsene, dunkle Liane sah sie mit einer Mischung aus Aufmerksamkeit und Sorge an. »Warum denkst du so was?«, fragte sie. »Ich denke nicht nach, lese nie Zeitung, und wenn ich mich mit meinen Freunden treffe, reden wir nie über Politik. Ich glaube, wir haben noch nicht ein einziges Mal den Namen Hu Jintao erwähnt!« Das war der Präsident der Volksrepublik. Mylène starrte sie mit großen Augen an. »In Frankreich tun wir nichts anderes: Wir reden die ganze Zeit über Politik!« Die dunkle Liane zuckte mit den Schultern und sagte: »Während der Ereignisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 war ich draußen auf der Straße, ich war fasziniert von dem, was da passierte, doch dann kam es zur Tragödie, der Aufstand wurde niedergeschlagen … Heute denke ich, dass in China alles zu schnell geht. Ich bin aufgeregt, und gleichzeitig habe ich Angst: Wird unser Land ein Monster zur Welt bringen? Werden unsere Kinder diese Monster sein?« Sie blickte einen Moment nachdenklich in die Ferne, dann beugte sie sich wieder über ihre Akten.
Mylène erschauerte. Und sie? War sie dabei, sich in dieses Monster zu verwandeln? Sie hatte nicht einmal mehr Zeit, ihr Geld
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