Der langsame Walzer der Schildkroeten
Ballett der Hände, des Pinsels und des Eyelinerflakons, mit dem sie geschickt hantierte, ohne das Pulver zu verstreuen.
»Du Christian, ich Cyrano. Damals engagierte ein Mann noch einen Mann, um an seiner Stelle zu sprechen.«
»Aber heute wissen Männer nicht mehr, wie man mit Frauen spricht … Ich jedenfalls scheitere an dieser Aufgabe. Ich glaube, ich habe es noch nie gekonnt.«
Ein weiterer Tropfen fiel auf seine Hand, und er zog es vor, auf den Toilettendeckel umzuziehen.
»Hast du Cyrano ausgelesen?«, fragte er, während er den Handrücken am erstbesten Handtuch abtrocknete.
Er hatte ihr eine englische Ausgabe des Cyrano de Bergerac geschenkt.
»Ich fand es toll … So french! «
Sie schwenkte ihr Mascarabürstchen und zitierte die englischen Verse:
» Philosopher and scientist,
Poet, musician, duelist –
He flew high, and fell back again!
A pretty wit – whose like we lack –
A lover … not like other men …
Das ist so schön, ich dachte, ich müsste sterben! Dank dir bekomme ich Herzklopfen. Ich schlafe mit der Sonate von Scarlatti ein, ich lese Dramen. Früher träumte ich davon, dass mir jemand Pelzmäntel, Autos oder Schmuck schenkt, und heute erwarte ich ein Buch oder eine Oper! Ich bin eine ziemlich günstige Geliebte!«
Das Wort »Geliebte« klang schrill wie das hohe C einer Diva beim Sturz in den Orchestergraben. Sie hatte es absichtlich benutzt, um zu sehen, ob er darauf reagierte oder ob das große Wort unbemerkt durchrutschen und den Platz festigen würde, den sie nun Tag für Tag in seinem Leben einnahm. Doch er hörte es, und für ihn klang es wie die erste Drehung eines Schlüssels, der ihn einsperrte. Den Blick unverwandt auf ihr Spiegelbild gerichtet, wartete sie ab und betete im Stillen, dass das Wort durchgehen möge, damit sie es später noch einmal benutzen könne, und dann wieder und wieder, bis es sich irgendwann festgesetzt hätte. Er hingegen fragte sich, wie er es wieder loswerden sollte, ohne sie zu verletzen. Nicht zulassen, dass es sich einprägte. Es vorsichtig ablösen und in das kleine Körbchen werfen, das von Wattebäuschen überquoll. Ein vor Erwartung und Widerstreben bebendes Schweigen machte sich breit. Er kam zu dem Schluss, dass es nur einen Weg gab, dieses Wort zurückzuweisen, das ihn zu fesseln drohte.
»Dottie! Du bist nicht meine Geliebte, du bist meine Freundin.«
»Eine Freundin, mit der man schläft, ist eine Geliebte«, beharrte sie, bestärkt durch seine Leidenschaft in der vergangenen Nacht. Er hatte nicht gesprochen, aber er hatte ihren Namen geschrien, als entdeckte er eine neue Welt. Dottie! Dottie! Das war nicht der Schrei eines Freundes, das war der Schrei eines Liebhabers, der vor Lust vergeht. Sie kannte diesen Schrei, und sie wusste daraus ihre Schlüsse zu ziehen. Letzte Nacht, sagte sie sich, letzte Nacht, in meinem Bett, da hat er kapituliert.
»Dottie!«
»Ja …«, murmelte sie, während sie eine Wimper korrigierte, die in die falsche Richtung abstand.
»Dottie, hörst du mir zu?«
»Okay«, seufzte Dottie, die nicht zuhören wollte. »Was sehen wir uns heute Abend an?«
»La Gioconda.«
»Von …«
»Ponchielli.«
»Super! Bald bin ich bereit für Wagner. Noch ein paar Abende, dann höre ich mir, ohne mit der Wimper zu zucken, den Ring an!«
»Dottie …«
Sie ließ die Arme sinken und sah im Spiegel vor sich die verzerrte Miene der Besiegten. Eine Spur Mascara zog sich wie eine schwarze Piste ihre Wange hinab.
Er griff nach ihrer Hand und zog sie an sich.
»Wäre es dir lieber, wenn wir uns nicht mehr träfen? Ich könnte das gut verstehen, weißt du?«
Sie versteifte sich und wandte den Blick ab. Weil es ihm egal wäre, wenn wir uns nicht mehr träfen? Ich bin überflüssig. Na los, Alter, mach schon, stoß das Messer noch tiefer in die Wunde. Ich hasse Männer, ich hasse mich dafür, dass ich sie brauche, ich hasse Gefühle, am liebsten wäre ich eine bionische Frau, die niemanden an sich heranlässt und Fußtritte verteilt, wenn jemand sie küssen will.
Sie schniefte und blickte zur Seite.
»Ich will dich nicht unglücklich machen … Aber ich will auch nicht, dass du glaubst, wir …«
»Das reicht!«, schrie sie und hielt sich die Ohren zu. »Ihr seid doch alle gleich! Ich hab die Nase voll davon, immer nur die gute Freundin zu sein. Ich will, dass mich jemand liebt!«
»Dottie …«
»Ich hab die Nase voll davon, allein zu sein! Ich will Sätze von Sacha Guitry, ich würde mir alle Wimpern einzeln
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