Der langsame Walzer der Schildkroeten
ausreißen, sie in Seidenpapier einschlagen und verschicken! Ich wäre nicht so zickig!«
»Ich verstehe dich sehr gut … Es tut mir leid.«
»Hör auf, Philippe, hör auf, oder ich bring dich um!«
Es heißt immer, weinende Frauen machten Männer hilflos. Philippe beobachtete verwundert, wie Dottie weinte. Wir haben eine Abmachung getroffen, dachte er, ganz Geschäftsmann, ich habe sie doch nur an die Bedingungen erinnert.
»Putz dir die Nase«, sagte er und griff nach einem Papiertaschentuch.
»Ja sicher! Und ruiniere damit meine sündhaft teure Foundation von Yves Saint Laurent!«
Er knüllte das Taschentuch zusammen und warf es weg.
Das angekündigte Unwetter brach los, die Wimperntusche strömte über schwarz und beige gestreifte Wangen. Er schaute auf die Uhr. Sie würden zu spät kommen.
»Ihr seid doch alle gleich! Feiglinge! Blöde Feiglinge! Das seid ihr! Einer wie der andere!«
Sie schrie, als wollte sie alle Männer, die sie ausgenutzt hatten, die sich eine Nacht lang auf ihr gewälzt und sie dann per SMS abserviert hatten, zum Duell fordern.
Wenn du eine derart schlechte Meinung von den Männern hast, dachte Philippe, warum wirkst du dann so überrascht? Warum hoffst du jedes Mal? Eigentlich müsstest du dir doch sagen: Ich kenne sie, ich weiß, dass man von ihnen nichts erwarten darf. Also nehme ich sie und werfe sie anschließend weg. Wo sie doch eh nicht mehr wert sind als ein Papiertaschentuch.
Sie schwiegen sich an, beide in ihre Fragen, ihre Einsamkeit, ihre Wut verbohrt. Ich will eine Haut, an die ich mich kuscheln kann, aber eine zärtliche Haut, die mit mir spricht und die mich liebt, klagte Dottie. Ich möchte, dass Joséphine in einen Zug springt und zu mir kommt, dass sie mir nur eine einzige Nacht schenkt. Philippe, please! Love me! , flehte Dottie. Verdammt, Joséphine, nur eine Nacht, eine einzige Nacht, begehrte Philippe .
Er nahm seinen Mantel, seinen Schal und ging hinaus. Er würde La Gioconda ohne ein Mädchen an seinem Arm ansehen.
Dottie schluchzte ein letztes Mal auf, ehe sie sich auf ihr Bett warf, mitten zwischen die kleinen Won’t you be my sweetheart, I’m so lonely -Kissen, die sie in einem Wutanfall quer durchs Zimmer schleuderte. Sie würde nie wieder das Betthäschen eines Mannes sein. Mit denen war sie durch. Genau wie Marilyn würde sie sagen: »I’m through with love …«
»Dann verschwinde doch! Ist sowieso besser!«, schrie sie ein letztes Mal gegen die Tür an.
Schwankend stand sie auf, legte die DVD von Manche mögen’s heiß ein und wickelte sich in ihre Decken. Wenigstens in dieser Geschichte gab es ein Happy End. In letzter Minute, als alles verloren schien, als Marilyn in einem Hauch von Nichts auf der Bühne ihr Lied säuselte, stürzte sich Tony Curtis auf sie, steckte ihr die Zunge in den Hals und nahm sie mit.
In allerletzter Minute.
Ein Hoffnungsschimmer flackerte auf.
Sie stürzte ans Fenster, hob den Vorhang an, starrte hinunter auf die Straße.
Und beschimpfte sich selbst.
»Das Leben ist schön. Das Leben ist so schön«, sang Zoé vor sich hin, als sie die Bäckerei verließ. Am liebsten hätte sie mitten auf der Straße getanzt und den Passanten zugerufen: Hey, wisst ihr was, ich bin verliebt! So richtig! Woher ich das weiß? Weil ich ganz allein vor mich hin lache, weil es sich anfühlt, als würde mein Herz gleich explodieren, wenn wir uns küssen.
Wann küssen wir uns?
Gleich nach der Schule, dann gehen wir in ein Bistro, setzen uns ganz hinten in die Ecke, dorthin, wo wir sicher sind, dass uns niemand sieht, und küssen uns. Anfangs wusste ich nicht, wie das geht, es war das erste Mal, aber er wusste es ja auch nicht. Für ihn war es auch das erste Mal. Ich habe den Mund ganz weit aufgemacht, und er sagte: »Du bist nicht beim Zahnarzt.« Und dann haben wir es so gemacht wie im Kino.
Hey, wisst ihr was? Er heißt Gaétan. Das ist der schönste Name der Welt. Erstens gibt’s darin zwei »a«, und ich mag »a«s, und dann ist da noch ein »G«. »G«s mag ich auch. Und am allerschönsten überhaupt klingt »Ga …«.
Wie er so ist?
Größer als ich, blond, eher kleine, sehr ernste Augen. Er mag Sonne und Katzen. Aber er hasst Schildkröten. Er ist nicht besonders kräftig gebaut, aber wenn er mich umarmt, fühlt es sich an, als hätte er drei Millionen Muskeln. Er hat auch einen besonderen Geruch, kein Parfüm, er riecht gut, das gefällt mir sehr. Er geht lieber zu Fuß, als die Métro zu nehmen, und seine Freundin
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