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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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nicht sah, denn Fuß und Antilope waren unter der Tischdecke verborgen. Joséphine erkannte das Foto wieder: Es war kurz vor seinem Weggang von Gunman aufgenommen worden, als die Zukunft ihm noch lachte und noch nicht von Fusion und Entlassungen die Rede war. Die Wirkung war erstaunlich; sie alle hatten das Gefühl, Antoine säße mit ihnen am Tisch.
    Alexandre zuckte vor Schreck zusammen und kippte mit seinem Stuhl nach hinten, woraufhin Antoine erzitterte und umfiel.
    »Gibst du ihm keinen Kuss, Maman?«, fragte Zoé, während sie das Bild ihres Vaters aufhob und wieder aufrecht vor seinen Teller stellte.
    Wie versteinert schüttelte Joséphine den Kopf. Das ist nicht möglich. Sollte er tatsächlich noch am Leben sein? Hat er sich ohne mein Wissen mit Zoé getroffen? Hatte er die Idee zu dieser grotesken Inszenierung, oder ist sie allein darauf gekommen? Sie blieb reglos vor diesem Pappmaché-Antoine sitzen und versuchte, die Situation zu verstehen.
    Philippe und Shirley wechselten einen Blick. Beide verspürten einen unbändigen Lachreiz, versuchten jedoch, ihn zu unterdrücken. Das sieht diesem Operettengroßwildjäger ähnlich, uns das Fest zu verderben, spottete Shirley stumm, er, der vor Angst Schweißausbrüche bekam, sobald er in der Öffentlichkeit das Wort ergreifen sollte!
    »Das ist aber nicht sehr nett, Maman. Man muss seinem Mann doch an Heiligabend einen Kuss geben. Immerhin seid ihr noch verheiratet.«
    »Zoé … bitte«, stammelte Joséphine.
    Hortense betrachtete das Bild ihres Vaters und zupfte dabei an einer Haarsträhne.
    »Was soll das werden, Zoé? Ein Remake von Invasion von der Wega oder Papa reloaded ?«
    »Papa kann heute noch nicht bei uns sein, darum hatte ich die Idee, ihm einen Platz am Tisch zu geben, und ich möchte, dass wir jetzt alle auf sein Wohl anstoßen!«
    » Flat Daddy , meinst du wohl!«, entgegnete Hortense. »So heißen diese Collagen in den USA nämlich, und das weißt du auch ganz genau, Zoé!«
    Zoé verzog keine Miene.
    »Auf die Idee ist sie nicht selbst gekommen, das hat sie aus englischen Zeitungen«, fuhr Hortense fort. » Flat Daddy! Das stammt aus Amerika. Es hat angefangen, als die Frau eines im Irak stationierten Soldaten eines Tages merkte, dass ihre vierjährige Tochter ihren Vater bei einem Heimaturlaub nicht mehr wiedererkannte. Die Angehörigen der Nationalgardisten haben ihre Idee aufgegriffen, und sie hat Schule gemacht. Mittlerweile bekommt die Familie jedes im Ausland stationierten amerikanischen Soldaten ihren Flat Daddy per Post, sie braucht ihn nur zu bestellen. Zoé hat nichts erfunden! Sie hat einfach nur beschlossen, uns den Abend zu versauen.«
    »Überhaupt nicht! Ich wollte nur, dass er hier ist, bei uns.«
    Hortense fuhr auf wie eine Sprungfeder, die aus ihrer Schachtel schnellt.
    »Was willst du wirklich: dass wir uns schuldig fühlen? Zeigen, dass du die Einzige bist, die ihn nicht vergisst? Dass du ihn wirklich liebst? Pech gehabt. Denn Papa ist tot. Schon seit sechs Monaten! Er wurde von einem Krokodil gefressen! Wir haben es dir nicht gesagt, um dich zu schonen, aber es ist die Wahrheit!«
    »Nein, das stimmt nicht!«, schrie Zoé und hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu. »Er ist nicht von einem Krokodil gefressen worden, er hat uns doch eine Karte geschickt!«
    »Das war bloß eine uralte, vergammelte Karte, die noch bei der Post herumlag!«
    »Stimmt nicht! Stimmt überhaupt nicht! Papa lebt, und er hat uns geschrieben! Du bist ein blödes, gemeines Biest, dem es am liebsten wäre, wenn alle anderen tot wären, damit es ganz allein auf der Welt sein könnte! Du Biest, du gemeines Biest!«, schrie sie schluchzend.
    Hortense ließ sich auf ihren Stuhl fallen und machte eine Geste, die ausdrückte: »Das ist zu viel für mich! Ich geb’s auf!« Joséphine brach in Tränen aus, warf ihre Serviette auf den Tisch und lief hinaus.
    »Super gemacht, Zoé!«, brüllte Hortense. »Hast du nicht noch eine andere lustige Überraschung für uns? Wir lachen uns nämlich gerade alle kringelig!«
    Gary, Shirley und Philippe warteten verlegen ab. Alexandres Blick wanderte zwischen seinen beiden Cousinen hin und her, während er zu begreifen versuchte, was gerade vor sich ging. Antoine war tot? Von einem Krokodil gefressen? Wie im Kino? Die Gänseleberpastete nahm eine rosige Färbung an, die Toastscheiben wurden hart, der Lachs schwitzte. Aus der Küche roch es verbrannt.
    »Der Truthahn!«, rief Philippe. »Wir haben vorhin vergessen, den

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