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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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sicher nicht mal Schuhe an, er hat seine Füße in Zeitungspapier gewickelt. Ein Penner! Sie hat uns einen Penner angeschleppt! Sie hielt sich die Nase zu. Arme Leute stinken. Ließ wieder locker, um den üblen Geruch wahrzunehmen. Roch nichts Verdächtiges. Zoé muss ihn unter die Dusche geschickt haben, darum haben wir so lange gewartet. Dann stieg ihr ein zarter Leimgeruch in die Nase. Und wieder dieses Rascheln im Dunkeln. Wie eine Katze, die sich an den Möbeln reibt. Sie seufzte genervt und wartete ab.
    Sie hat einen Obdachlosen mitgebracht, dachte Philippe, einen von diesen armen Alten, die Weihnachten auf der Straße unter einem Karton verbringen. Es würde mich nicht stören. Das kann uns allen passieren. Erst gestern, als er im Hof der Gare du Nord auf sein Taxi wartete, hatte er einen früheren Kollegen getroffen, der auf einen Stock gestützt vorbeihumpelte. Der Knorpel in seinem rechten Knie zerbröselte, und er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Trotzdem wollte er sich auf keinen Fall operieren lassen. Du weißt doch, wie das läuft, Philippe, du setzt ein, zwei Monate aus, und schon bist du raus aus dem Rennen. Ich mache seit sechs Monaten nichts mehr, hatte Philippe geantwortet, und es ist mir vollkommen egal. Ich genieße das Leben, und das gefällt mir, hatte er gedacht, als er dem Hinkenden nachsah. Ich kaufe Kunstwerke, und ich bin glücklich. Und ich küsse die einzige Frau auf der ganzen Welt, die ich nicht küssen darf. Auf seinen Lippen lag noch der Geschmack des Kusses. Mit der Zungenspitze tastete er nach einem Stück Backpflaume, einem Hauch von Armagnac. Glückselig lächelte er im Halbdunkel vor sich hin. Wenn ich das nächste Mal nach New York fliege, nehme ich sie mit. Wir werden glücklich sein, schöne Dinge anschauen, bis uns die Augen übergehen, gemeinsam Auktionen besuchen. Der Umsatz der letzten beiden Verkaufswochen in New York hatte bei einer Milliarde dreihunderttausend Dollar gelegen, das entsprach etwa dem zweihundertfünfzigfachen Jahresbudget für Neuanschaffungen des Centre Pompidou. Ich könnte mir gut vorstellen, ein Privatmuseum zu leiten, in dem ich meine Sammlung ausstelle. Ich würde Alexandre beibringen, Gemälde zu kaufen. Neulich bei Christie’s war der glückliche Käufer des Cape Codder Troll , einer Skulptur von Jeff Koons, ein zehnjähriges Kind, das zwischen seinem Vater, einem Immobilientycoon, und seiner Mutter, einer berühmten Psychiaterin, saß. Die Laune des Kindes hatte sie dreihundertzweiundfünfzigtausend Dollar gekostet, aber sie schienen sehr stolz zu sein! Alexandre, Joséphine, New York, Berge von Kunst, das Glück kam zum Vorschein, breitete sich aus, nahm den ganzen Raum ein.
    »Ich mache jetzt das Licht wieder an, und ihr dürft die Augen öffnen«, sagte Zoé.
    Überrascht schrien sie auf. Auf dem bislang leeren Stuhl saß … Antoine. Ein lebensgroßes Foto von Antoine, aufgeklebt auf eine Styroporplatte.
    »Darf ich vorstellen, Papa!«, verkündete Zoé mit leuchtenden Augen.
    Betreten starrten sie Antoines Gestalt an, bis ihre Blicke zu Zoé glitten. Um sofort wieder zu Antoine zurückzukehren, als würde er gleich zum Leben erwachen.
    »Er wollte eigentlich Weihnachten hier sein, aber er wurde aufgehalten. Also dachte ich, es wäre schön, wenn er trotzdem heute Abend bei uns sein könnte, denn ein Weihnachten ohne Papa ist kein richtiges Weihnachten. Niemand kann einen Papa ersetzen. Und darum möchte ich, dass wir jetzt alle auf sein Wohl anstoßen und ihm sagen, dass wir uns auf ihn freuen und es kaum erwarten können, dass er wieder bei uns ist.«
    Sie musste ihre kurze Ansprache auswendig gelernt haben, denn sie hatte sie ohne zu stocken in einem Zug vorgetragen. Den Blick unverwandt auf das Standbild ihres Vaters in Jägerkluft gerichtet.
    »Oh, ich habe noch etwas vergessen. Er ist für einen Heiligen Abend nicht besonders schick angezogen, aber er meinte, ihr würdet das schon verstehen … Nach allem, was er durchgemacht hat, war Eleganz die geringste seiner Sorgen. Denn er hat ziemlich aufregende Abenteuer erlebt!«
    Antoine trug ein beigefarbenes Freizeithemd, ein weißes Halstuch und eine khakifarbene Outdoorhose. Er hatte die Ärmel über die gebräunten Arme hochgekrempelt. Er lächelte. Sein kurz geschnittenes hellbraunes Haar, sein gebräunter Teint und ein stolzes Funkeln in den Augen verliehen ihm die kühne Aura eines Großwildjägers. Seinen rechten Fuß hatte er auf eine Antilope gestellt, auch wenn man es

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