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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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entdeckt, und mein Verstand schreit: Vorsicht, Gefahr, reiß dich zusammen!«
    »Das kenne ich alles.«
    Joséphines Wangen glühten.
    »Ich mag es, wenn er mich küsst, ich möchte, dass er es wieder tut. Oh, Shirley, das ist so gut! Ich will nicht, dass es aufhört.«
    »Autsch! Das klingt gefährlich.«
    »Glaubst du, ich werde leiden?«
    »Es heißt ja nicht umsonst Leiden schaft.«
    »Dafür bist du ja Expertin …«
    »Dafür bin ich ja Expertin …«
    Joséphines Blick fiel auf den Griff der Ofentür, sie seufzte auf.
    »Ich bin glücklich, Shirley, so glücklich! Selbst wenn dieses große Glück nur zehneinhalb Minuten dauern darf. Ich bin mir sicher, manche Menschen haben nicht einmal zehneinhalb Minuten wahres Glück in ihrem ganzen Leben!«
    »Diese Glückspilze! Zeig sie mir, damit ich ihnen aus dem Weg gehe!«
    »Ich habe immerhin zehneinhalb Minuten großes, großes Glück auf meinem Konto! Ich werde mir den Film dieses Kusses in Endlosschleife immer wieder anschauen, und das wird mir genügen. Ich drücke Play, Stopp, Zurückspulen, Kuss in Zeitlupe, Stopp, Zurückspulen, Kuss in Zeitlupe …«
    »Das werden ja überwältigende Abende!«, lachte Shirley.
    Joséphine hatte sich gegen den Ofen gelehnt und träumte vor sich hin, die Arme fest um ihren Oberkörper geschlungen. Shirley schüttelte sie.
    »Lass uns essen. Die anderen fragen sich gleich noch, was wir hier drin treiben.«
    Sie kehrten ins Wohnzimmer zurück und warteten mit den anderen auf Zoé.
    Hortense blätterte in der Oscar-Wilde-Gesamtausgabe und las einige Stellen vor, während Gary die Holzscheite mit dem Blasebalg anpustete.
    Alexandre schnupperte missbilligend an den Zigarren seines Vaters.
    »Schönheit liegt im Auge des Betrachters«, las Hortense.
    »Very thoughtful indeed « , kommentierte Gary.
    »Es gibt zwei Arten von Frauen: die unansehnlichen und die geschminkten, Mütter sind eine Kategorie für sich!«
    »Er hat die geilen Schlampen vergessen!«, warf Gary ein.
    »Als ich jung war, glaubte ich, Geld sei das Wichtigste im Leben. Nun, da ich alt bin, weiß ich es.«
    »Nicht schlecht … passt zu dir!«, spottete Gary.
    Sie tat, als hätte sie ihn nicht gehört, und las weiter: »Es gibt nur zwei Tragödien auf dieser Welt. Die eine ist, nicht zu bekommen, was man haben will, die andere, es doch zu bekommen.«
    »Falsch!«, rief Philippe.
    »Vollkommen richtig!«, widersprach Shirley. »Das Verlangen bleibt nur lebendig, wenn man ihm hinterherläuft. Es lebt von der Distanz.«
    »Ich weiß, wovon mein Verlangen lebt«, flüsterte Philippe.
    Er saß neben Joséphine auf dem Sofa am Feuer. Hinter ihrem Rücken griff er nach ihrer Hand. Sie errötete und beschwor ihn mit Blicken loszulassen. Er dachte gar nicht daran und streichelte zärtlich ihre Hand, öffnete sie, drehte sie um und strich immer wieder durch die Zwischenräume zwischen den Fingern. Joséphine konnte sich nicht befreien, ohne eine abrupte Bewegung zu machen und die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zu ziehen, also blieb sie reglos sitzen, ihre glühende Hand in der seinen. Sie lauschte den Zitaten von Oscar Wilde, ohne sie zu hören, und bemühte sich, zu lachen, wenn die anderen lachten. Jedoch immer mit einer kurzen Verzögerung, was schließlich auffiel.
    »Was ist denn los, Maman, hast du getrunken oder was?«, rief Hortense.
    Diesen Moment wählte Zoé, um ins Zimmer zu kommen und feierlich zu verkünden: »Alle auf ihre Plätze, bitte! Ich mache gleich das Licht aus …«
    Sie gingen an den Tisch und suchten ihren Namen neben den Tellern. Setzten sich hin. Falteten ihre Servietten auf. Wandten sich Zoé zu, die, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, kontrollierte, ob sie gehorchten.
    »Jetzt schließt alle die Augen, und dass ja keiner schummelt.«
    Sie fügten sich. Hortense versuchte zu erkennen, was vor sich ging, doch Zoé hatte das Licht gelöscht, und sie sah nur eine starre, viereckige Gestalt, die sich, von Zoé gestützt, dem Tisch näherte. Was soll das jetzt? Das muss irgendein seniler alter Trottel sein, der nicht mehr allein stehen kann. Die schleppt uns ’nen bettlägerigen Opa als geheimnisvollen Gast an. Tolle Überraschung! Der kotzt uns gleich die Bude voll oder kriegt beim ersten Rülpser einen Herzinfarkt. Wir dürfen Notarzt und Feuerwehr rufen, und dann fröhliche Weihnachten alle miteinander.
    »Hortense! Du schummelst! Mach die Augen zu!«
    Sie gehorchte und spitzte die Ohren. Bei jedem Schritt raschelte der Mann. Der hat

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