Der langsame Walzer der Schildkroeten
wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, um zur nächsten Stufe meines Plans überzugehen, dachte sie, als sie sich ins Bett legte: mich Grobz wieder annähern, vorgeben, mit ihm über die Scheidung reden zu wollen, mich sanft, verständnisvoll geben, Reue zeigen. Meine Schuld eingestehen. Ihn einlullen und an die Kandare nehmen. Und diesmal kommt er mir nicht davon.
Und falls das nicht klappen sollte, gab es immer noch Plan B. Iris war offenbar ins Leben zurückgekehrt. Sie hatte triumphierend gelächelt, als sie aus dem Taxi ausgestiegen war. Ein schönes Lächeln. Plan A, Plan B … Die Rettung war nahe!
Gary und Hortense saßen bei Starbucks und tranken einen Cappuccino. Gary hatte Hortense in ihrer Mittagspause abgeholt; jetzt tauchten sie ihre Lippen in den cremigen weißen Schaum und beobachteten durch das große Fenster die Passanten auf dem Bürgersteig. Es war einer jener Wintertage, die die Engländer glorious nennen. What a glorious day! , riefen sie einander morgens mit einem strahlenden, zufriedenen Lächeln zu, als wären sie höchstpersönlich dafür verantwortlich. Blauer Himmel, schneidende Kälte, klares Licht.
Hortense bemerkte einen Mann, der sich mit einer Hand den Mantel anzog, während er einen Doughnut aß. »Spät dran, spät dran«, sang sie vor sich hin und studierte seinen gehetzten Pinguingang. Er war so beschäftigt, dass er die Glaswand eines Bushäuschens übersah und mit voller Wucht dagegenlief. Durch den heftigen Aufprall krümmte er sich zusammen und ließ alles fallen; Hortense lachte hell auf und stellte die Tasse ab, an der sie vorsichtig genippt hatte.
»Du scheinst ja heute gut drauf zu sein!«, bemerkte Gary mürrisch.
»Na und? Du nicht?«, entgegnete Hortense, ohne den Mann aus den Augen zu lassen.
Er kroch inzwischen auf allen vieren und bemühte sich, den Inhalt seines Aktenkoffers aufzusammeln, der sich über den Bürgersteig ergossen hatte. Der Strom der Passanten teilte sich, um ihm auszuweichen, und schloss sich gleich wieder, sobald das Hindernis umrundet war.
»Gestern Abend hat meine Oma mich einbestellt …«
»In den Palast?«
Gary nickte. Der Cappuccino hatte einen weißen Bart auf seiner Oberlippe hinterlassen. Hortense wischte ihn mit einem Finger weg.
»Gab es dafür einen bestimmten Grund?«, fragte sie, den Blick erneut auf den kauernden Mann gerichtet, der jetzt ans Handy ging, während er gleichzeitig versuchte, seinen Aktenkoffer zu schließen.
»Ja, sie sagt, ich hätte jetzt genug Zeit vertrödelt und müsste mich entscheiden, was ich im nächsten Jahr machen wolle. Wir haben Januar … Jetzt muss man sich an den Universitäten einschreiben …«
»Und was hast du geantwortet?«
Der Mann hatte sein Gespräch beendet und wollte gerade aufstehen, als er sich plötzlich panisch und mit wild umherschießendem Blick auf die Oberschenkel und gegen die Brust zu klopfen begann.
»Nichts, das ist es ja gerade. Sie ist ziemlich einschüchternd, weißt du. Wenn du vor ihr stehst, passt du lieber auf, was du sagst …«
Hortense musste sich das Lachen verkneifen. Was hatte der Mann denn jetzt schon wieder?
»Sie hat mir die Wahl gelassen zwischen einer Militärakademie und einem Jurastudium oder so etwas in der Art. Sie hat betont, dass alle Männer der Familie eine Zeit lang in der Armee gedient haben, sogar Charlie, der alte Pazifist!«
»Die werden dir den Kopf rasieren!«, rief Hortense, ohne den Blick von dem Spektakel auf der Straße abzuwenden. »Und dich in eine Uniform stecken!«
Der Mann schien sein Handy verloren zu haben und kroch nun wieder auf allen vieren durch die Menge, um es zu suchen.
»Ich gehe nicht auf eine Militärakademie, ich gehe nicht zur Armee, und ich studiere auch nicht Jura, BWL oder sonst etwas!«
»Also wäre das geklärt … Wo ist dann das Problem?«
»Das Problem ist, dass sie mir die Hölle heiß machen wird! Sie gibt sich nicht so leicht geschlagen.«
»Aber es ist dein Leben und deine Entscheidung! Du musst ihr sagen, was du selbst machen möchtest.«
»Etwas mit Musik … Aber ich weiß noch nicht, was. Pianist werden vielleicht. Ist das ein Beruf, Pianist?«
»Wenn du Talent hast und wie ein Besessener dafür arbeitest.«
»Mein Lehrer sagt, ich hätte das absolute Gehör und solle unbedingt weitermachen, aber … Ich weiß nicht, Hortense. Ich spiele erst seit acht Monaten Klavier. Es ist beängstigend, in meinem Alter schon entscheiden zu müssen, was man sein ganzes Leben lang machen wird …«
Der
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