Der langsame Walzer der Schildkroeten
Mann hatte sein Handy wiedergefunden und versuchte nun, immer noch kniend, es zurück in die Hülle zu stecken, während er gleichzeitig seinen Aktenkoffer unter den Arm klemmte, was ihm die Aufgabe nicht gerade erleichterte.
»Geh wieder ins Bett, Alter«, sagte Hortense seufzend, »heute ist einfach nicht dein Tag!«
»Vielen Dank auch!«, schimpfte Gary. »Du hast immer eine Lösung griffbereit!«
»Dich habe ich doch gar nicht gemeint! Ich habe mit dem Typen da draußen auf der Straße gesprochen, der eben hingefallen ist. Hast du das nicht gesehen?«
»Ich dachte, du hörst mir zu! Du bist wirklich unglaublich, Hortense! Andere Leute sind dir so was von scheißegal!«
»Stimmt doch gar nicht … Aber der Typ ist mir schon aufgefallen, bevor du den Mund aufgemacht hast – und die Show, die er da abzieht, ist reif fürs Fernsehen! Aber meinetwegen, ich schau nicht mehr hin, versprochen …«
Nur noch ein letzter rascher Blick: Der Mann war wieder aufgestanden und suchte etwas auf dem Boden. Der will doch jetzt nicht noch seinen Doughnut aufheben! Sie hob sich leicht von ihrem Stuhl, um ihn besser beobachten zu können. Der Mann suchte den Bürgersteig ab, entdeckte den Doughnut ein Stück weiter vor sich am Fuß des Bushäuschens, bückte sich, hob ihn auf, wischte ihn kurz ab und biss hinein.
»O nein, ist der eklig!«
»Vielen Dank für deine Hilfe!«, stieß Gary hervor und stand auf. »Du kannst mich echt mal, Hortense!«
Er verließ das Café und schlug die Tür hinter sich zu.
»Gary!«, rief Hortense. »Komm zurück …«
Sie hatte ihren Cappuccino noch nicht ausgetrunken und zögerte, ihn einfach stehen zu lassen. Das war ihr ganzes Mittagessen.
Sie stürzte hinaus auf die Straße und schaute nach rechts und links, um zu sehen, welche Richtung Gary eingeschlagen hatte. Sie entdeckte seinen breiten Rücken, seine hohe Gestalt, die gerade mit wütendem Schwung in die Oxford Street einbog. Sie rannte ihm nach und hakte sich bei ihm ein.
»Gary! Please! Mit ›eklig‹ habe ich doch nicht dich gemeint!«
Er antwortete nicht. Er machte so große Schritte, dass sie Mühe hatte, ihm zu folgen.
»Da du achtzehn Zentimeter größer bist als ich, sind deine Schritte auch achtzehn Prozent länger als meine. Wenn du in dem Tempo weiterläufst, hast du mich bald abgehängt, und dann war’s das mit Reden …«
»Wer sagt denn, dass ich reden will?«, brummte er.
»Du, vorhin.«
Er blieb stumm, ging mit unverändert großen Schritten weiter und zog sie an seinem rechten Arm neben sich her.
»Soll ich mich vor dir auf die Knie werfen?«, fragte sie keuchend.
»Du kannst mich mal.«
»Tolles Argument! Deine Großmutter hat recht, du solltest wirklich anfangen zu studieren, dein Wortschatz schrumpft rapide.«
»Du gehst mir auf den Sack!«
»Auch nicht besser!«
Sie gingen weiter. What a glorious day! What a glorious day! , sang Hortense stumm in ihrem Kopf. Heute Morgen hatte sie im Modezeichnen-Kurs die beste Note der Klasse bekommen und ein elegantes Knopfloch für den Nachmittagsunterricht entworfen. Ihre Mitschüler würden sie hassen. Obwohl sie Stil sehr schätzte, vernachlässigte sie darüber nicht die Technik, und sie erinnerte sich immer an den Satz, den sie in einer Zeitschrift gelesen hatte: »Ein Designer, der die Technik nicht beherrscht, ist nur ein Illustrator.«
»Ich gebe dir noch bis zur nächsten Kreuzung, um es dir anders zu überlegen, denn da hinten an der Ecke trennen sich unsere Wege. Meine Zeit ist kostbar.«
Er blieb so abrupt stehen, dass sie gegen ihn prallte.
»Ich will Musik machen, das ist das Einzige, was ich mit Sicherheit weiß. Ich rauche nicht, ich trinke nicht, ich nehme keine Drogen, ich plündere keine Klamottenläden, weil ich unbedingt einen tollen Look brauche, ich sitze nicht rum, höre meinen Haaren beim Wachsen zu und warte auf Gott weiß was, ich habe keinen teuren Geschmack, ich will nur Musik machen …«
»Na, dann sag ihr doch genau das.«
Er zuckte mit den Schultern und sah von seiner vollen Höhe zu ihr herab. Sein Blick blieb irgendwo über ihrem Kopf hängen.
»Lohnt es sich, den Blitzableiter auszufahren, oder erschlägst du mich sofort?«, wollte sie wissen.
»Als ob das so einfach wäre!«, entgegnete er und verdrehte die Augen.
»Und was sagt deine Mutter dazu?«
»Dass ich machen soll, was ich will, und dass ich noch genug Zeit habe, mich zu entscheiden …«
»Damit hat sie ja auch recht!«
Er hatte sich auf ein niedriges
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