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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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Ihnen, bald liest er ganz alleine! Bleibt ihm auch nichts anderes übrig, es spielt ja keiner mehr mit ihm, er langweilt sich, also liest er!«
    Henriette lauschte verzückt. Sie hätte vor Glück die Luft küssen mögen, die sie atmete. Es funktionierte also! Es war genau wie bei der Verbrennung: Wie durch Zauberhand würde Josiane verschwinden.
    »Mein Gott! Das ist ja furchtbar!«, sagte sie mit einer Stimme, die mitfühlend klingen sollte, aber vor Freude geradezu wieherte. »Der arme Monsieur!«
    Das Mädchen nickte und fuhr fort: »Er wird noch verrückt. Sie liegt den ganzen Tag im Bett, will niemanden sehen, will nicht mal, dass man die Vorhänge öffnet, weil das Licht sie in den Augen schmerzt. Bis Weihnachten ging es ja noch. Weihnachten ist sie aufgestanden, sie hatten sogar Gäste, aber seitdem ist es ganz schlimm!«
    Von den Lippen des Mädchens las Henriette ihren Triumph ab.
    »Jetzt bleibt alles an mir hängen. Der Haushalt, das Kochen, die Wäsche und das Kind! Ich habe keine freie Minute mehr! Nur wenn ich mit ihm spazieren gehe … dann kann ich mal ein bisschen Luft holen und ein Buch lesen.«
    »Ach, wissen Sie, solche Stimmungstiefs kommen vor. Heultage nennt man das. Na ja, zu meiner Zeit nannte man das jedenfalls so.«
    »Sie will nicht zum Arzt gehen. Sie will überhaupt nichts mehr! Sie behauptet, in ihrem Kopf flatterten schwarze Schmetterlinge herum. Ich schwöre Ihnen, genau das hat sie gesagt. Schwarze Schmetterlinge!«
    »Mein Gott!«, seufzte Henriette. »So schlimm!«
    »Sag ich doch! Und wer darf das alles ausbaden? Ich. Aber sie hört auf niemanden! Sie sagt, das geht schon irgendwann wieder vorbei. Ich glaube ja eher, dass wir vorher alle das Weite suchen!«
    »Oh, aber doch nicht Monsieur! Er liebt seine Josiane!«, hatte Henriette, die ihre Freude kaum noch zügeln konnte, protestiert.
    »Wie viele Männer kennen Sie, die es bei einer kranken Frau aushalten? Vierzehn Tage, okay, aber länger auch nicht! Und bei uns geht das jetzt schon wochenlang so! Ich gebe dieser Beziehung keine große Chance mehr. Aber um das Kind ist es schade. Die leiden ja immer am meisten darunter …«
    Sie schaute zu dem Baby hinunter, das sie eindringlich musterte, als versuchte es zu verstehen, was da über seinen Kopf hinweg gesprochen wurde.
    »Armes Spätzchen«, hatte Henriette geflüstert. »Und dabei ist er so süß mit seinen roten Löckchen und dem zahnlosen Mündchen.«
    Sie hatte sich zu dem Kleinen hinuntergebeugt und wollte eine Hand auf seinen Kopf legen. Da hatte er einen schrillen Schrei ausgestoßen, hatte sich verkrampft und war in seinem Kinderwagen ganz nach hinten zurückgewichen, um ihrer Liebkosung zu entgehen. Schlimmer noch: Er hatte beide Daumen und Zeigefinger zu einer Art Raute zusammengelegt, sie ihr drohend entgegengehalten und wie am Spieß gebrüllt, um sie zu vertreiben.
    »Was soll das denn? Man könnte ja meinen, Sie wären der Leibhaftige persönlich! Im Exorzisten wehren sie so den Teufel ab!«
    »Ach was, das liegt nur an meinem Hut! Der macht ihm Angst. Das passiert häufiger bei Kindern.«
    »Stimmt, der sieht ja auch wirklich seltsam aus. Wie eine fliegende Untertasse. In der Métro ist das sicher ziemlich unpraktisch!«
    Henriette musste sich beherrschen, um sie nicht zurechtzuweisen. Sehe ich etwa aus, als würde ich mit der Métro fahren? Sie presste ihre Lippen zusammen, um eine scharfe Antwort zurückzuhalten. Sie brauchte dieses Mädchen noch.
    »Nun«, hatte sie gesagt und war aufgestanden, »dann lasse ich Sie jetzt weiterlesen …«
    Dabei hatte sie einen Schein in die halb geöffnete Handtasche des Mädchens geschoben.
    »O nein, das ist doch nicht nötig. Ich jammere zwar, aber sie sind sehr großzügig …«
    Lächelnd war Henriette gegangen. Chérubine hatte ganze Arbeit geleistet.
    All das kostete natürlich Geld, rechnete Henriette, als sie nun im Nachthemd dastand und ihre rosige, glatte Narbe streichelte, aber es war auch eine Investition. Bald wäre Josiane nur noch ein Schatten ihrer selbst. Mit ein wenig Glück würde sie verbittert und boshaft werden. Sie würde den alten Grobz wegstoßen und aus ihrem Bett verbannen. Hilflos würde Marcel zu ihr zurückkommen. Er konnte ja so dämlich sein. Sie hatte sich immer gewundert, wie ein derart gerissener Geschäftsmann in der Liebe so naiv sein konnte. Und außerdem hatte das Kindermädchen recht: Männer mögen keine Kranken. Sie ertragen sie eine Weile, dann wenden sie sich ab.
    Vielleicht

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