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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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falschen Lächeln verzogen. Sie hatte sich an Nicholas geschmiegt und die glückliche Braut gespielt. Sie hatte keine Minute übrig für schmerzhafte Mutmaßungen: Was macht er? Ist er verliebt? Und warum nicht in mich? Fruchtlose Albernheiten! Ein Hoch auf mich! Siebzig von tausend! I am the best. Die Crème de la Crème. Und das mit gerade einmal achtzehn! Während die Bradsburry gegen die grausamen Zeichen der Zeit kämpft. Ich bin mir sicher, dass sie sich Botox spritzen lässt, die hat ja nicht eine Falte im Gesicht! Da ist doch was faul. Riecht nach langsamer Verwesung.
    Sie drehte sich auf den Bauch, zog sich ihr Kopfkissen über die Ohren und hörte nicht, wie Zoé ins Zimmer kam. Meine nächste Show wird »Ruhm ist die gleißende Trauer um das Glück« heißen, eine Hommage an Madame de Staël. Ich werde Kleider für hochmütige Königinnen mit blutenden Herzen entwerfen. Ich werde mit Rot, Schwarz und Violett spielen, mit bodenlangen Falten, es wird grausam sein, erhaben, verletzt. Ich könnte sogar …
    »Schläfst du?«, flüsterte Zoé.
    »Nein. Ich genieße meinen Triumph und bin allerbester Laune. Nutz die Gelegenheit.«
    »Es ist schon wieder ein Brief von Papa gekommen!«
    »Zoé, hör auf! Ich habe dir doch gesagt, er ist tot! Das ist furchtbar traurig, aber so ist es nun mal. Du musst dich damit abfinden.«
    »Doch … lies selbst.«
    Hortense wies Zoé an, ihr ein T-Shirt zu geben, griff nach dem Brief und las laut vor:
    »Meine geliebten Schätzchen,
    hier kommt ein kurzer Brief von mir, um Euch zu sagen, dass es mir immer besser geht und dass ich stets an Euch denke. Dass die glücklichen Tage in Kilifi, an die ich so gerne zurückdenke, mir helfen, allmählich wieder Freude am Leben zu finden …
    So ein fürchterlicher Kitsch!«, zischte Hortense.
    »Du übertreibst, das ist doch süß!«
    »Eben. Papa war nicht süß! Ein Mann schreibt so etwas nicht!
    In meinen Qualen schenken mir Eure kleinen Gesichtchen einen Hauch von Zärtlichkeit und die Kraft, nicht aufzugeben … Wieder Fuß zu fassen in dieser erbarmungslosen Welt.
    Auweia, ist das heftig. Unsere ›kleinen Gesichtchen‹! Wird er langsam senil oder was?«
    »Er ist müde, er findet nicht die richtigen Worte …«
    »An eines muss ich besonders oft denken: den am Topfboden festgebrannten Braten, als Ihr eines Abends gekocht habt, wisst Ihr noch? Was haben wir damals gelacht!«
    Hortense ließ den Brief fallen.
    »Das ist Mylène!«, rief sie. »Sie schreibt diese Briefe. Der Braten war unser Geheimnis. Sie schämte sich, weil ihr das Essen angebrannt war, und wir mussten ihr versprechen, nichts zu verraten. Erinnere dich, Zoé! Ich habe mir mein Schweigen mit falschen Wimpern und French Nails bezahlen lassen …«
    Zoé starrte sie verzweifelt an.
    »Weißt du das nicht mehr?«, ließ Hortense nicht locker.
    Zoé schluckte, sie hatte Tränen in den Augen.
    »Du glaubst wirklich …«
    »Hast du die anderen Briefe noch?«
    Zoé nickte.
    »Hol sie mir!«
    Zoé rannte in ihr Zimmer, und Hortense las den Brief zu Ende.
    »Diese Momente fehlen mir. Ich bin so einsam. Verzweifelt. Keine Schulter, an die ich mich anlehnen kann … Ach, meine süßen Schätzchen! Meine wunderschönen Mädchen. Ich wäre so gerne bei Euch und würde Euch in die Arme nehmen! Das Leben ist so schwer ohne Euch! Nichts ersetzt einem die zärtlichen Umarmungen von Kindern. Ohne sie sind alles Geld und aller Erfolg nichts Wert. Ich liebe Euch über alles und umarme Euch ganz fest. Ich verspreche Euch, dass wir schon sehr, sehr bald wieder zusammensein werden …
    Papa.
    Ach du Schande!«, rief Hortense und ließ das Blatt sinken.
    Sie musterte die Briefmarke. Der Umschlag war in Straßburg abgestempelt worden. Sie las den Brief noch einmal, prüfte jedes Wort. Ich bin mir sicher, dass ich recht habe, der Brief ist nicht von ihm. Er ist von Mylène. Sie will uns glauben machen, dass er noch am Leben ist. Aber mit dem Braten hat sie sich verraten. » Nichts Wert, zusammensein .« Das war sie! Er machte keine Rechtschreibfehler. Er sagte immer, dass man einen Menschen anhand der Fehler beurteilen könne, die er beim Sprechen und Schreiben mache. Meine Güte, was ist er uns mit seinen Grammatik- und Stilpredigten auf die Nerven gegangen! Man sagt nicht »wegen dir«, sondern »deinetwegen«, und wenn ein Junge euch eines Tages verkündet, dass er das Auto »von« seiner Mutter fährt, dann lasst am besten gleich die Finger von ihm, denn er ist ein ungebildeter Tölpel.

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