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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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schreiben. Weißt du, wie man sie erreichen kann?«
    »Marcel weiß es. Er hat ihre Nummer … Er hat sie mir Weihnachten gegeben, aber ich habe sie verloren. Ich wollte sie anrufen, nachdem der erste Brief gekommen war, aber dann … Ich hatte einfach keine Lust, mit ihr zu reden.«
    »Kein Wunder! Also wenn ihr mich fragt, hat die nicht mehr alle Latten am Zaun … Ich wette, sie langweilt sich in China und spielt deshalb Madame de Sévigné. Sie erzählt sich Märchen. Sie ist einsam, die Zeit vergeht, sie hat keine Kinder, und da stellte sie sich einfach vor, wir wären ihre Töchter. Ich rufe gleich nachher Marcel an.«
    »Dann ist Papa also richtig tot?«, fragte Zoé vor Kummer zitternd.
    »Es gibt keine fünfzehn Arten, tot zu sein, Zoé. Entweder man ist es, oder man ist es nicht, und wenn ihr mich fragt, ist er es schon lange!«, versetzte Hortense.
    Zoé starrte ihre Schwester an, als hätte diese ihren Vater eigenhändig umgebracht, und brach in Tränen aus. Joséphine nahm sie in die Arme. Du Guesclin stimmte jaulend in ihr Schluchzen ein und schwang den Kopf hin und her wie ein Klageweib unter seinem schwarzen Schleier. Hortense verpasste ihm einen Fußtritt.
    Abends versuchte sie, Marcel zu Hause zu erreichen. Doch es war ständig besetzt.
    »Was treibt der Kerl? Ich wette, der hat das Telefon ausgesteckt und schwebt mit Josiane im siebten Himmel! Mann, in dem Alter vögelt man doch nicht mehr, da gießt man seine Geranien und legt Patiencen!«
    Hortense hatte recht. Und auch wieder nicht. Marcel hatte tatsächlich das Telefon abgeschaltet, aber nicht, weil er mit Josiane im siebten Himmel schwebte. Ganz im Gegenteil, er versuchte, sie wieder auf die Erde zurückzuholen.
    Er hatte Madame Suzanne und René in sein Wohnzimmer bestellt. Junior saß in seinem Babysitz, kaute sabbernd an einer Cantal-Rinde und entblößte dabei sein rotes Zahnfleisch. In einen Mohairschal gehüllt, lag Josiane kraftlos in einem Sessel. Sie zitterte vor Kälte. Warum schauten sie sie alle so an? Sah man die dunklen Ansätze an ihrem Scheitel? Und warum trug sie um sieben Uhr abends noch ihren Bademantel? Seit einiger Zeit ließ sie sich ein wenig gehen, aber sie hätte sich doch trotzdem zurechtmachen müssen. Und warum ist mir so kalt? Wir haben Mitte Juli. Ich bin wirklich nicht in Form im Moment. Ich fühle mich wie ein ausgespuckter Kaugummi.
    Madame Suzanne hatte sich vor ihre Füße gesetzt und massierte ihren rechten Knöchel. Sie barg Josianes Fuß in ihren sanften Händen und drückte bestimmte Punkte. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, sie atmete schwer.
    »Ich spüre, dass sie besessen ist, aber ich sehe nichts …«, sagte sie nach einigen Minuten.
    René und Marcel beugten sich zu ihr hinunter, um ihr moralischen Rückhalt zu geben. Josiane erkannte den Geruch wieder, der vom Hemd ihres Mannes aufstieg. Er erinnerte sie an wilde, leidenschaftliche Nächte, und sie seufzte, als sie daran dachte, dass es schon eine Ewigkeit her war, seit sie zum letzten Mal übereinander hergefallen waren. Sie hatte einfach zu nichts mehr Lust.
    Madame Suzanne sprach langsam und leise, um ihre Patientin nicht zu verunsichern.
    »Josiane, hören Sie mir gut zu, wissen Sie, ob Sie Feinde haben?«
    Josiane schüttelte matt den Kopf.
    »Haben Sie absichtlich oder unabsichtlich jemanden so sehr verletzt, dass er nun auf Rache sinnen und sogar Ihren Tod wünschen könnte?«
    Josiane dachte nach, doch ihr fiel niemand ein, den sie gekränkt haben könnte. Unter ihren Verwandten hatte ihre Beziehung zu Marcel für Neid gesorgt, manche hatten sie um Geld gebeten, was sie stets zurückgewiesen hatte, aber sie deswegen gleich aus dem Fenster zu stürzen, nein! Sie erinnerte sich an den Tag, an dem sie vom Balkon hatte springen wollen, sie erinnerte sich an den Stuhl, an das Geländer, an den lockenden Abgrund, an den Wunsch, dieser tödlichen Schwermut ein Ende zu machen, die sie vergiftete. Vergessen. Alles vergessen. Auf einen Stuhl steigen und springen.
    »Ich bin vielleicht dem einen oder anderen auf die Füße getreten, Sie wissen, ich nehme kein Blatt vor den Mund, aber ich habe nie jemanden absichtlich verletzt … Warum wollen Sie das wissen?«
    »Beantworten Sie einfach nur meine Fragen …«
    Madame Suzanne tastete ihren Fuß ab, ihr Bein, schloss die Augen, öffnete sie wieder. Marcel und René verfolgten jede ihrer Gesten mit gespannten Mienen.
    »Bist du sicher, dass sie nicht krank ist?«, fragte René, den Josianes

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