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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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einem breitkrempigen, zitronengelben Hut auf dem Kopf, neben ihm und schaute hinaus aufs Meer. Er versuchte das Rätsel der Wellen und Gezeiten, der Anziehungskraft von Sonne und Mond zu ergründen. Auch er mochte die glühenden Sonnenstrahlen nicht und zog es vor, im Schatten zu bleiben. Erst wenn die Sonne sank, lief er ans Wasser und stürzte sich mit der Geschwindigkeit einer Kanonenkugel hinein. Dann drehte er sich wie rasend im Kreis, ruderte mit den Armen und ließ das Wasser aufspritzen, als hätte er einen Propeller, kam wieder zurück und warf sich, prustend wie ein Wal, auf sein Handtuch.
    Josiane betrachtete ihn gerührt.
    »Ich sehe gerne, wie er im Wasser spielt … Wenigstens da verhält er sich wie ein Kind in seinem Alter. Denn sonst … sonst frage ich mich, was mit ihm los ist. Er ist nicht normal, Marcel, er ist einfach nicht normal!«
    »Er ist ein Genie!«, brummte Marcel. »Und wir sind es nicht gewöhnt, mit einem Genie umzugehen. Aber damit wirst du dich abfinden müssen! Außerdem ist mir das lieber als ein stumpfsinniger Esel.«
    Die ganze Zeit über schimpfte und murrte er leise vor sich hin. Josiane beobachtete ihn aus dem Augenwinkel. Er wirkte abwesend. Finster. Wenn er mit ihr sprach, fehlten die üblichen Schnörkel, das Beben in seiner Stimme, das Gurren und die Liebesworte, die sie von ihm gewohnt war.
    »Was geht dir denn im Kopf herum, mein dicker Brummbär?«
    Statt zu antworten, schlug er mit der flachen Hand auf den Sand, ein Zeichen dafür, dass er tatsächlich verärgert war.
    »Gibt es Probleme im Büro? Tut es dir leid, dass wir hergekommen sind?«
    Er kniff die Augen zusammen und verzog das Gesicht. Er hatte sich einen Sonnenbrand eingefangen, und seine Nase leuchtete knallrot.
    »Es gibt keine Probleme im Büro, ich bin stinksauer. Und ich möchte meine Wut irgendwie rauslassen, wenn ich schon nicht der Person den Hals umdrehen kann, an die ich gerade denke! Am liebsten würde ich dieser Person, deren Namen ich nicht nennen will, damit uns ihr Fluch nicht noch mal trifft, eine von den Kokosnüssen da hinten in den Rachen stopfen!«
    »Du bist wütend auf …«
    »Sprich ihren Namen nicht aus! Sprich ihren Namen nicht aus, sonst fällt uns der Himmel mit Blitz und Donner auf den Kopf!«
    »Im Gegenteil, wir müssen ihn aussprechen, um ihre Macht zu brechen und sie von uns fernzuhalten! Durch deine Angst riskierst du, dass sie zurückkommt … Indem du sie für so stark hältst, gibst du ihr Macht über uns.«
    Marcel brummte etwas und setzte wieder seine Gewittermiene auf.
    »Ich erkenne dich überhaupt nicht wieder, mein Bärchen, man könnte meinen, du hättest kein Rückgrat mehr …«
    »Ich hätte dich fast verloren, und das jagt mir immer noch Schauer über den Rücken.«
    Josiane ist meine ganz persönliche Apotheke. Wenn sie nicht mehr da ist, bin ich aufgeschmissen. Und die hätte sie mir mit ihren finsteren Machenschaften und ihren Nadeln beinahe weggenommen!
    »Jetzt will ich dir mal was verraten«, sagte Josiane und rollte sich auf die Seite. »Aber versprich mir, dass du nicht gleich in die Luft gehst …«
    Er sah sie an, und seine Miene sagte: Mach schon, spuck’s aus, ich werd ja sehen, wie es mir schmeckt.
    »Diese Geschichte hat mich wachsen lassen. Ich stehe jetzt über den Dingen … Ich bin nicht mehr dieselbe wie früher, ich ruhe in mir, ich habe keine Angst mehr. Früher hatte ich immer Angst davor, dass mir der Himmel auf den Kopf fallen könnte, aber jetzt fliege ich im Heißluftballon über den Wolken dahin …«
    »Aber ich will nicht, dass du wegfliegst! Ich will, dass du schön bei mir und Junior auf dem Boden bleibst!«
    »Das ist doch nur ein Bild, mein Bärchen. Ich bin da. Ich werde dich nie wieder verlassen … nicht einmal in Gedanken. Und niemand wird mich jemals wieder von dir trennen können.«
    Sie tätschelte Marcels Hand, die sich um die ihre schloss und sich daran festklammerte wie an einem Rettungsring.
    »Da siehst du, was die Angst mit dir macht. Sie fesselt dich, sie lässt dich schrumpfen …«
    »Das wird sie mir büßen, das wird sie mir büßen«, wiederholte Marcel ununterbrochen und ließ endlich die ganze Wut raus, die ihn erstickte. »Ich hasse sie, diese widerliche Vogelscheuche! Ich spucke ihr ins Gesicht, ich werde sie zertrampeln, ihr die Zähne einzeln ausreißen …«
    »Ach was … Du wirst ihr verzeihen und das Ganze vergessen!«
    »Niemals, niemals! Ich setze sie splitternackt auf die Straße, und dann soll

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