Der Lavendelgarten
Sie?«
»Nein.« Er sprach ausgezeichnet Französisch, wenn auch mit englischem Akzent.
»Darf ich fragen, woher Sie mich kennen?«, erkundigte sie sich, vor Nervosität ein wenig herrisch.
»Das ist eine lange Geschichte, die ich Ihnen gerne erzähle. Erwarten Sie jemanden?« Er deutete auf den leeren Stuhl ihr gegenüber.
»Ich … nein.« Emilie schüttelte den Kopf.
»Darf ich mich setzen und Ihnen alles erklären?«
Er gab ihr keine Gelegenheit, Nein zu sagen, und zog den Stuhl heraus. Als das Licht der Sonne sie nicht mehr blendete, sah sie, dass er etwa so alt wie sie und schlank war und qualitativ hochwertige, lässige Kleidung trug. Er hatte ein paar Sommersprossen auf der Nase, kastanienbraune Haare und schöne haselnussbraune Augen.
»Mein herzliches Beileid zum Tod Ihrer Mutter«, sagte er.
»Danke.« Emilie nahm einen Schluck Wein und fragte, ganz wohlerzogene Französin: »Darf ich Ihnen ein Glas Rosé anbieten?«
»Danke, gern.« Sebastian winkte den Kellner heran, der ihm ein Glas brachte. Emilie schenkte ihm aus ihrer Karaffe ein.
»Wie haben Sie vom Tod meiner Mutter erfahren?«
»Der dürfte in Frankreich kein Geheimnis sein. Sie war ziemlich bekannt. Es ist bestimmt schwierig für Sie.«
»Ja«, antwortete sie steif. »Sie sind also Engländer?«
»Wie konnten Sie das nur erraten?« Sebastian verdrehte in gespieltem Entsetzen die Augen. »Dabei bemühe ich mich so, meinen Akzent loszuwerden. Ja, ich komme aus England, habe aber ein Jahr lang Kunst in Paris studiert und gestehe, ausgesprochen frankophil zu sein.«
»Verstehe«, murmelte Emilie. »Aber …«
»Ja«, unterbrach er sie, »das erklärt nicht, woher ich weiß, dass Sie Emilie de la Martinières sind. Die Verbindung zwischen Ihnen und mir reicht weit in die Vergangenheit zurück.«
»Sind wir verwandt?« Emilie musste an Gerards Worte denken.
»Nein, ganz sicher nicht«, antwortete er lächelnd. »Meine Großmutter war Halbfranzösin. Vor Kurzem habe ich erfahren, dass sie im Zweiten Weltkrieg eng mit Ihrem Vater Édouard de la Martinières zusammengearbeitet hat.«
»Aha.« Ihr Vater hatte praktisch nie über seine Vergangenheit gesprochen. Was wollte dieser Engländer nur von ihr? »Ich weiß wenig über diese Zeit im Leben meines Vaters.«
»Ich wusste auch nur wenig, bis meine Großmutter mir vor ihrem Tod erzählt hat, dass sie während der Besetzung hier war. Sie hat Édouards Tapferkeit gelobt«, fügte Sebastian hinzu.
Emilie schnürte sich die Kehle zu. »Tatsächlich? Ich bin mehr als zwanzig Jahre nach Kriegsende zur Welt gekommen; da war mein Vater sechzig.«
Sebastian nickte.
»Außerdem …« Emilie nahm einen großen Schluck Wein. »… neigte er nicht zum Prahlen.«
»Constance, meine Großmutter, scheint ihn jedenfalls sehr geschätzt zu haben. Sie hat mir von dem schönen Château erzählt, in dem sie während ihres Aufenthalts in Frankreich war. Es befindet sich doch in der Nähe von Gassin, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete Emilie, als ihr Salat serviert wurde. »Möchten Sie auch etwas essen?«, fragte sie, wieder aus Höflichkeit.
»Wenn ich Sie nicht störe, gern.«
»Nein, nein.«
Sebastian bestellte, und der Kellner zog sich zurück.
»Was führt Sie nach Gassin?«, erkundigte sich Emilie.
»Gute Frage. Nach dem Abschluss meines Kunststudiums in Paris habe ich mich dem Kunsthandel zugewandt. Ich bin viel für meine kleine Galerie in London unterwegs, um Gemälde für wohlhabende Kunden aufzustöbern. Nach Frankreich bin ich gekommen, um den Eigentümer eines Chagall zu überreden, dass er ihn mir überlässt. Der Mann lebt in Grasse, also nicht weit von hier. Als ich in der Zeitung vom Tod Ihrer Mutter gelesen habe, ist mir die Verbindung meiner Großmutter zu Ihrer Familie eingefallen. Ich wollte selbst einen Blick auf das Château werfen, von dem ich so viel gehört habe. Die Gegend hier ist wirklich sehr hübsch.«
»Ja, das stimmt«, bestätigte sie, verwirrt über diese merkwürdige Unterhaltung.
»Wohnen Sie in dem Château, Emilie?«, erkundigte sich Sebastian.
»Nein«, antwortete sie mit einem unbehaglichen Gefühl wegen seiner direkten Frage. »In Paris.«
»Wo ich viele Freunde habe. Ich hoffe, eines Tages mehr Zeit in Frankreich verbringen zu können, aber momentan bin ich noch dabei, mir in meiner Heimat einen Ruf zu erwerben. Dass es mir nicht gelungen ist, den Chagall für meinen Kunden zu erstehen, ärgert mich. Das wäre mein erster großer Deal gewesen.«
»Tut
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