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Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Giusi Marchetta
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stehenzubleiben, als ich meinen Namen höre.
    »Du hast es aber eilig!«
    De Lucia hat immer noch dasselbe Lächeln drauf, mit dem er uns ein Jahr lang aufrechthielt. Ihm gewähre ich gerne ein Schwätzchen, einen Kaffee.
    »Am ersten September trete ich den Dienst an«, sagt er. »Es geht wieder los.«
    Er ist heute Morgen zur Kundgebung gekommen, obwohl er die Stelle gekriegt hat. Oder vielleicht gerade, weil er sie gekriegt und nichts mehr zu verlieren hat. Ich freue mich jedenfalls, dass er gekommen ist.
    »Mach dir keine Gedanken. Dieses Jahr nehme ich ihn unter meine Fittiche, Petar. Du wirst sehen, Grazia und ich verhelfen ihm zu seinem Abschluss.«
    »Ich habe vom Leguan geträumt.«
    »Ich war gestern in der Schule«, sagt er. »Und habe ihn mir wieder angesehen, den Leguan.«
    Ich wette, er hebt noch immer die Pranke. Und reißt das Maul auf, bereit, zuzubeißen.
    »Er ist noch immer blind, erinnerst du dich?«
    Wir begeben uns zu seinem Auto, er bietet mir an, mich mitzunehmen.
    Er öffnet die Fahrertür, steigt aber nicht ein: An einem seiner Schuhe hat sich der Schnürsenkel gelöst. Mit der Hand fordert er mich auf, schon mal Platz zu nehmen, dann stemmt er den Fuß gegen das Vorderrad und bindet den Schuh zu.
    Das genügt, um mich in den Flur des Bernini vor einem halben Jahr zurückzuversetzen. Andrea war damals noch Psycho für mich.
    Ich will gerade das Klassenbuch zurückbringen, und er kommt mir mit gesenkter Stirn und widerwillig verzogenem Mund entgegen. Er wird sich auf mich stürzen, nach mir schlagen, denke ich. Es ist das, was er immer tut.
    »Dein Schnürsenkel ist aufgegangen.«
    Verdutzt bleibt er stehen und blickt auf seinen linken Schuh. Seinen Rucksack hinter sich herschleifend, überholt er mich und geht zum Eingang.
    Es ist der richtige Moment, abzuhauen, mich davonzumachen, aber ich tue es nicht. Ich bleibe stehen, wo ich bin, das Klassenbuch gegen die Brust gepresst, und beobachte ihn.
    Andrea keucht. Er hat den linken Fuß auf eine Bank gestellt und mit seinen zuckenden Armen, die Finger um die beiden Enden des Schnürsenkels geklammert, versucht er sich zu erinnern, wie man sie richtig schnürt. Er probiert es von der einen Seite, dann von der anderen; der Knoten ist zu locker, dann drückt er zu fest, macht ihn wieder auf.
    Es ist schwierig. Es ist unmöglich.
    Sein Rücken bebt, zuckt, sein Kopf zittert, der Rucksack rutscht ihm auf den Schultern hin und her, die Jacke behindert ihn.
    »Leck mich am Arsch!«, sagt er. »Verdammt noch mal.«
    Ich könnte hingehen und ihm helfen. Ich könnte abhauen.
    Ich tue es nicht.
    Ich lasse ihn schwitzen, schimpfen, fluchen.
    Nur zu, denke ich, mach weiter.
    »Leck mich am Arsch!«, brüllt er schließlich. Erst die eine Seite, dann die andere, dann unten durch. Er hat es geschafft: Der Schuh ist zugeschnürt. Er kann den Fuß von der Bank nehmen, sich die Stirn trocknen, es ist alles vorbei, und ich bin immer noch da, sehe ihn an mit Tränen in den Augen. Mein Herz schlägt so heftig, dass es nicht mehr Teil meines Körpers ist, sondern ein lebhaftes Pochen des Fußbodens, der Wände, des Flurs.
    Andrea fährt sich mit der Hand durch die Haare, richtet seinen Rucksack auf den Schultern gerade, bringt seine Jacke in Ordnung. Dann, während ich mich zu entfernen beginne, hebt er seinen rechten Fuß hoch, stellt ihn auf die Bank, löst den perfekt gebundenen Schnürsenkel. Und fängt wieder von vorne an.
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