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Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schreiben später Trottau vorlas, weinte er dabei und sagte: »Wo hat es das gegeben, Trottau? Ein Zar siegelt sein Schreiben mit Tränen! Kurbski wird sterben – er und seine ganze Familie. Alles, was Kurbski heißt auf dieser Welt … Aber diese Tränen, Trottau, diese Tränen sind wie die, die Christus am Kreuze weinte.«
    Trottau schwieg. Er starrte den Zaren an und wußte, daß Iwans Geist sich zu verwirren begann. Ein Wahnsinniger saß auf Rußlands Thron.
    Der Brief ging mit reitenden Boten nach Dorpat in Litauen. Aber mit den Boten ritt auch das Kommando, das Fürst Kurbski und seine Familie töten sollte.
    Man tat es gründlich. Die Strelitzen erstachen den neunjährigen Sohn des Fürsten mit ihren Piken, die Fürstin wurde mit Säbelhieben ums Leben gebracht. Kurbski selbst fand man nicht. Im Vertrauen darauf, daß der Zar Frau und Kind schonen würde, hatte er beide in Gottes Hand gelegt und war geflohen.
    In Moskau aber geschah etwas Unvorstellbares: Der Zar verließ den Kreml.
    »Wenn dein Rat gut war, Trottau«, sagte er, als er mit seinem Arzt allein war, »bin ich in ein paar Wochen der mächtigste Herrscher der Welt. War er schlecht, wirst du mit mir untergehen.«
    In der Stadt erfuhr man zuerst von den rätselhaften Dingen, die vor dem Zarenpalast stattfanden. Eine unübersehbare Schlittenkolonne war vorgefahren, und ein Heer von Dienern trug Gold- und Silbergeschirr, Sessel und Betten, Ikonen und Teppiche, die gesamte Rüstkammer und den ganzen Staatsschatz hinaus und verlud alles auf die Schlitten.
    In voller Kriegsrüstung warteten Hofbeamte vor der Roten Treppe. Sie hatten ihre Frauen und Kinder mitgebracht, in das wärmende Stroh der Reiseschlitten verpackt, auf den Böcken hockten in groben Wolfspelzen die Kutscher. Leibeigene, Diener und Minister versammelten sich reisefertig. Die Mönche erschienen in dicken Winterkutten, voran der Metropolit, und alle waren sie aufgeregt und randvoll mit Fragen.
    Der Rote Platz vor dem Kreml war schwarz von Menschen. Das Volk begriff noch nicht, was da vor seinen Augen geschah, und wenn man einen der Strelitzen fragte, erhielt man immer die gleiche Antwort: »Keiner weiß etwas. Es ist ein Befehl des Zaren.«
    Gegen Mittag stand halb Moskau auf dem Roten Platz und starrte auf die riesige Schlittenkolonne. Plötzlich kam Bewegung in die wartenden Höflinge.
    »In die Uspenski-Kathedrale!« schrien die Boten des Zaren. »Alles in die Kathedrale! Der Zar wird dort erscheinen!«
    Eine halbe Stunde später las der Metropolit die schönste und geheimnisvollste Messe seines Lebens. Die Kirche war so voller Menschen, daß man kaum atmen konnte, der Chor der Mönche sang so herrlich wie nie zuvor. Und als der Metropolit die Gebete sprach, erhob sich der Zar. Völlig in sich versunken, ging er nach vorn, fiel vor dem Allerheiligsten in die Knie und betete mit erhobenen, gefalteten Händen.
    Es war die vollendetste schauspielerische Leistung, die je ein Mensch geboten hatte. Trottau, der abseits bei den singenden Mönchen stand, kannte genau die Gedanken, die Iwan jetzt beseelten. Keine Liebe zu Gott war es, sondern der Plan, die Bojarenmacht völlig zu vernichten.
    Das Meßopfer nahm der Zar hin wie ein Märtyrer, den Segen ließ er über sich ergehen wie ein Sterbender. Aber dann sprang er plötzlich auf, schob den erstarrten Metropoliten zur Seite, blickte hinunter zu der Gruppe der in kostbare Pelze gehüllten Bojaren und rief laut in die lähmende Stille:
    »Da ich nur Verräter um mich habe, da ihr alle mich haßt, gehe ich in die Wälder! Moskau und Rußland könnt ihr nun allein regieren!«
    Er half Marja von der Betbank auf, faßte sie an der Hand und verließ mit ihr die Kathedrale. Draußen auf dem Roten Platz sprang er in den mit heißen Steinen geheizten Schlitten, hob die Hand und schrie: »Voran! Mir nach! Ich will Moskau nie wiedersehen!«
    Wie gelähmt blickte ihm das Volk nach. Was auch geschehen war, eines begriff es sofort: Es war jetzt ohne Schutz dem Adel ausgeliefert. War der Zar auch ein strenger Herr, so hing er doch nicht nur die Gemeinen auf, sondern auch die Bojaren und Großgrundbesitzer.
    Er hatte Furcht und Schrecken verbreitet, aber es hatte noch nie einen Herrscher gegeben, der das Volk streichelte, sondern immer nur einen, der es peitschte. Doch was jetzt kommen würde – die Herrschaft der Bojaren, der gegenseitige mörderische Kampf um die Macht – das würde alles übertreffen, was Rußland je erduldet hatte.
    Der Metropolit

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