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Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sagte es laut. »Herr im Himmel!« schrie er in der Kathedrale, nachdem Iwan abgefahren war. »Bring uns unseren Zaren zurück!«
    Die Bojaren standen ratlos herum, mißtrauisch und ängstlich. Meinte Iwan es ehrlich? Kam er nie wieder? Oder war alles nur ein blendender Theaterstreich gewesen?
    Die Bojaren beschlossen, abzuwarten. Ein Iwan Rurik gibt nicht kampflos auf …
    Siebzig Werst von Moskau entfernt, in riesigen Wäldern, lag das große Landgut Alexandrowskaja sloboda. Es diente dem Zaren manchmal als Sommerresidenz. Im Winter schlief es tief, unter Schneemassen begraben. Noch nie hatte ein Zar das Gut um diese Zeit besucht.
    Die Schlittenkolonne raste quer über vereiste Wiesen und zugefrorene Sümpfe, über Flüsse mit dicker Eisdecke und durch Wälder, in deren Dickicht vorausreitende Strelitzen Schneisen geschlagen hatten. In den Mooren brachen die Pferde ein, die Schlitten blieben in Schneeverwehungen stecken … Und es schneite weiter; es schneite, schneite …
    Fast zwei Tage brauchte Iwan, um den Landsitz zu erreichen. Als er eintraf, war man noch dabei, die Zugänge freizuschaufeln. Die ersten Diener, die in die Häuser eindringen konnten, heizten die Kamine, legten heiße Steine in die Betten des Zaren und der Zarin und rollten dicke Teppiche auf den kalten Böden aus.
    Der Zar stieg aus seinem großen Schlitten und half Marja aus den dicken Felldecken. »Das hier wird Rußlands neues Herz sein!« sagte Iwan laut. »Von hier aus werde ich es regieren. Oh, ihr Bojaren, verkriecht euch wie Ratten in eure Löcher! Von hier aus werde ich ein neues Rußland schaffen!«
    Dann blickte er sich suchend um. »Wo ist Trottau?« fragte er.
    Marja sah ihn an. »In Moskau … Er ist nicht mitgekommen.«
    »Warum nicht?«
    »Sollte er das? Iwanuschka, ein kleiner, dummer Arzt …«
    »Er soll kommen! Sofort!« Iwan schlug mit der Faust gegen den geschnitzten Schlitten. »Ich will Trottau sehen! Bringt mir den Arzt hierher!«
    Zehn Reiter galoppierten zurück nach Moskau, und Marja, die Zarin, lächelte unmerklich, als sie an Iwans Arm die neue Residenz Alexandrowskaja sloboda betrat.
    Das gefährliche Spiel um Macht und Liebe hatte begonnen.

15
    Der Kreml war verlassen. Nur die notwendigsten Palastwachen waren zurückgeblieben und die Mönche in ihrem düsteren Kloster neben den Kremlkirchen.
    Trottau ging durch die menschenleeren Flure und Säle, eingehüllt in einen dicken Pelzmantel, als besichtige er den Untergang der russischen Macht. Es war bestürzend, zu sehen, wie ein einziger Mann einem Riesenreich wie Rußland ein Gesicht gab und wie alles abblätterte wie schlechte Farbe, wenn dieser eine Mann Moskau verließ.
    Was würde werden, wenn Iwan einmal nicht mehr lebte? Was wurde aus Rußland ohne diese starke Hand?
    Eine Hand, die nur Grausamkeit ausstreute und die dennoch, als sie sich jetzt zurückzog, überall fehlte. Würde der Zarewitsch – der so weich war wie seine Mutter Anastasia – ein guter Zar werden? Oder würde er schon nach wenigen Wochen untergehen in der Haßflut der Bojaren, in diesem vor keinem Mord zurückschreckenden Machtstreben der Fürsten?
    Was Iwan IV. jetzt getan hatte, war eine Art Generalprobe für den Ernstfall, nur hatte sie einen Fehler: Seine Gegenwart war noch spürbar. Er lebte noch, und man rechnete mit jeder Überraschung, solange er noch atmete.
    Zum erstenmal besichtigte Trottau den ganzen Kreml. Er war bisher nur in bestimmte Teile gekommen, in die Zimmer der Zarenfamilie und unter die Erde zu den Blattjews.
    Jetzt durchstreifte er alle Flure, blickte in Zimmer, die aussahen, als seien ihre Bewohner geflüchtet, und setzte sich in dem großen Saal, in dem Iwan sonst die Gesandten der anderen Mächte empfing, auf den Thronsessel.
    Und da war es Trottau, als spüre er plötzlich eine schwere Last auf seinen Schultern.
    »Welch ein Glück ist es doch, Arzt zu sein«, sagte Trottau zu dem Metropoliten, der ihm im Kreml begegnete. Auch der Metropolit ging allein durch den verlassenen Palast – vielleicht mit ähnlichen Gedanken wie Trottau –, und es schien wie eine Fügung des Schicksals, daß die beiden einsamen Männer im Betzimmer des Zaren zusammentrafen: ein Arzt und ein Priester.
    Zwei Menschen, die jeden Zaren begleiteten bis zum Ende. Zwei Menschen, auf die kein Zar verzichtete, mochte er auch alles um sich herum hassen und vernichten. Ein Arzt und ein Priester – sie hätten in das Wappen Rußlands hineingehört.
    Der Metropolit nickte. Sein weißer Bart

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