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Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hatte, war ihr wichtiger als alles andere. Macht – das war ein Gefühl von unbeschreiblicher Größe. Es war Lügen und Grausamkeit, Mitleidlosigkeit und Blut wert …
    »Er ist verschwunden«, sagte nach fünf Tagen Massja Fillipowna zu Trottau, unten in Blattjews unterirdischer Wohnung. »Igor hat heute die letzten Knochen weggeräumt.«
    Blattjew nickte. Er grunzte und lallte, und es war deutlich, daß er Trottau erzählte, wie gründlich die Bären den Fürsten Pritschew beseitigt hatten.
    Trottaus Gesicht blieb unbewegt. Um Xenias willen hatte er sich daran gewöhnt, nicht mehr entsetzt zu sein. Blattjew konnte nicht anders. Seine Tochter, seine Frau und seine Bären – das war alles, was man ihm von der Welt gelassen hatte. Xenia betete er an, Massja war ihm eine gute, treue, fleißige Frau, und seine Bären liebte er, denn für sie hatte er seine Zunge verloren, die Luft, die Sonne, den blauen Himmel, Blüten und Schnee.
    Nach Pritschews Tod hatte Trottau seine Sonnenkuren mit Xenia vorerst eingestellt. Auch innerhalb des Kremls suchte man natürlich den Verschwundenen. Man kämmte alle Gärten und jeden Winkel durch, kam auch in den Garten des Zarewitsch. Aber hier hatte Sabotkin alle Spuren des Kampfes verwischt. Man fand nichts, und der Zarewitsch beschwerte sich bei seinem Vater, daß man ihn verdächtige, den Bojaren Pritschew verborgen zu halten.
    Iwan hörte seinen ältesten Sohn an, stumm, mit gesenktem Blick und verkniffenem Mund. Dann drehte er seinen Possoch herum und schlug wortlos auf den Zarewitsch ein. Der Griff sauste auf dessen Schultern und Rücken. Und als der Zarewitsch sich nicht rührte, sondern nur ruhig sagte: »Erschlag mich, Väterchen. Ich habe mehr Sehnsucht nach meiner Mutter, als bei dir zu leben«, brach Iwan zusammen und weinte.
    Als er einmal für zwei Stunden ausritt, um den Verhören der Leibeigenen auf Pritschews Landgut beizuwohnen, verlangte die Zarin nach einem Schmerzpulver. Als Trottau zu ihr kam, zog sie ihn auf ihr Bett und küßte ihn mit wilder Leidenschaft.
    Dann kam der Zar zurück, erschöpft, niedergeschlagen, staubüberkrustet und von Bildern des Wahnsinns geplagt.
    »Trottau«, sagte er müde, »du deutscher Hund, ich beneide dich. Du bist Arzt, du heilst die Menschen. Ich muß sie vernichten. Du kannst deiner Wissenschaft leben – ich muß eine Krone tragen, die mich in die Erde drückt. Wie geht es der Zarin?«
    »Sie wartet auf Euch, Herr.«
    »Kann ich so zu ihr gehen, Arzt?« Iwan richtete sich auf. Sein Vogelgesicht war zusammengefallen, die Augen verschwanden fast in den tiefen Höhlen. »Auch diese Frau bringt mich um, Trottau. Langsam, ganz langsam, mit einer mörderischen Süße bringt sie mich um. Gibt es ein Mittel, eine Frau wie Marja zu besiegen? Immer wieder zu besiegen? Ich hänge dich auf, Trottau, wenn du keines weißt!«
    »Es gibt nur ein Mittel, erhabener Zar«, erwiderte Trottau nachdenklich. »Ruhe …«
    Der Zar starrte ihn an. »Trottau, du bist ein Idiot. Ruhe! Wo findet ein Zar Ruhe, außer im Grab!«
    »Ihr habt Landgüter, Herr, Schlösser, Burgen – im ganzen Land. Bisher habt Ihr an Rußland gedacht. Denkt für eine kurze Zeit einmal nur an Euch.«
    »Ich bin Rußland«, entgegnete der Zar dunkel.
    »Ein müdes, staubbedecktes, kraftloses Rußland …«
    »Ich bin von Verrätern umgeben!« schrie Iwan und sprang vom Bett auf. Seine harten, kalten Augen glitzerten. »Schon als Kind wollten mich die Bojaren ermorden. Und jetzt treffen sie mich anders. Sie säen Mißtrauen gegen die Zarin in mein Herz, sie morden meine besten Freunde, sie wollen mich aushöhlen, Trottau, meine Seele aushungern … Und da soll ich fort aus Moskau? Es sähe wie eine Flucht aus!«
    »Nein, Herr. Es würde Rußland aufrütteln.« Trottaus Gedanke – aus der Not geboren – wurde plötzlich zu einer Möglichkeit, das Leben Iwans zu ändern. »Verlaßt Moskau mit einem Fluch gegen die Bojaren, und das Volk wird vor Euch auf den Knien liegen und Euch anbeten.«
    Iwan sah seinen Arzt lange und durchdringend an. »Du bist ein Satan, Trottau«, sagte er leise. »Ich werde mir deinen Rat überlegen.«
    Er nahm eine silberne Glocke, warf sie gegen die Wand, und sechs Höflinge stürzten ins Zimmer. »Mein Bad!« schrie der Zar. »Neue Kleider! Den Barbier! Schnell!« Er winkte Trottau, der sich nach einer Verneigung entfernen wollte. »Nein, du bleibst, Trottau! Ich brauche einen Menschen, dem ich vertraue.«
    Und wieder kam sich Trottau elend vor. In

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