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Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Erinnerung an drei Stunden Freiheit – mehr blieb nicht für Massja und Igor. Die Gelegenheit, noch einmal unter der Erde hervorzukriechen, würde nicht wiederkommen.
    Blattjew hieb mit beiden Fäusten gegen die hölzerne Schlittenwand und heulte wie ein verirrter Wolf, Massja weinte still in sich hinein, hielt Xenia umfaßt, als müsse sie mit ihr gemeinsam das Schafott besteigen, und als der Schlitten unter dem Nordtor hielt, wühlte sich nur Trottau aus Stroh und Felldecken und sprang in den Schnee.
    »Solange der Zar fort ist, fahren wir jeden Tag zwei Stunden mit dem Schlitten umher«, erklärte er. »Morgen hinaus in die Wälder, übermorgen zur Kirche der blutenden Madonna. Und der Zar wird lange wegbleiben.«
    Die Blattjews starrten ihn an, als habe ein Geist zu ihnen gesprochen. Jeden Tag? In die Wälder? Über das freie Land? Den Himmel Rußlands über sich? Sollten die Wunder denn nicht aufhören?
    Sie kletterten aus dem Schlitten, umarmten den Kutscher, küßten ihn auf die Wangen, küßten die Pferde auf die dampfenden Nüstern und küßten den geschnitzten, buntbemalten Schlitten. Dann gingen sie Hand in Hand zurück in den Kreml und verschwanden hinter der versteckten Tür in der Tiefe.
    Nur Trottau blieb zurück – er wollte einen Brief an den Zaren schreiben.
    Kurz nach der Rückkehr der Blattjews erreichten die Boten des Zaren Moskau. Sie galoppierten durch die Straßen zum Kreml und ließen den Arzt von Trottau ausrufen.
    Der Anführer der zurückgelassenen Palastwache sagte, man habe ihn zum Kloster hinübergehen sehen, und dort fand man ihn auch, mitten in einer ärztlichen Tätigkeit: Er schnitt einem Mönch einen Nackenfurunkel auf.
    Der Offizier, steif vom Frost, dampfte in der plötzlichen Hitze des Raumes. »Befehl des Zaren!« schrie er, ohne Rücksicht auf die Operation zu nehmen. »Der deutsche Arzt soll sich sofort nach Alexandrowskaja sloboda begeben.«
    Trottau arbeitete ruhig weiter, als habe er nichts gehört, und sagte nur: »Haltet die Schale höher, Väterchen, näher an den Nacken. Gleich wird der Eiter herauslaufen.«
    Er setzte das Chirurgenmesser an, spaltete mit einem schnellen Schnitt das dicke Geschwür. Der Mönch zuckte zusammen und knirschte mit den Zähnen, aber er blieb stumm.
    Nur die um ihn herumstehenden Brüder begannen, Gebete zu murmeln. Aus der klaffenden Wunde flossen Blut und Eiter.
    »Kann der Arzt reiten?« brüllte der Offizier an der Tür.
    Trottau antwortete noch immer nicht. Er drückte ein zusammengefaltetes, ausgekochtes Leinentuch auf die Wunde, nahm die Schale aus der Hand des helfenden Mönchs und war mit wenigen Schritten vor dem Offizier der Garde. Mit einem Ruck hielt er ihm die Zinnschale unter die Nase. Der Offizier verfärbte sich und wandte den Kopf ab.
    »Wenn du mich mit deinem Pferd bis Alexandrowskaja sloboda einholst«, sagte Trottau laut, »darfst du mir vor den Augen des Zaren die Schale ins Gesicht schütten. Holst du mich nicht ein, wird der Zar dich zwingen, sie auszutrinken.«
    Der Offizier schluckte krampfhaft, starrte Trottau haßerfüllt an und stampfte hinaus.
    »Warum ruft dich der Herrscher?« fragte der Metropolit, der im Hintergrund auf einem Sessel saß. »Ist er krank geworden?«
    »Ich weiß es nicht.« Trottau kehrte zu dem Operierten zurück. Heilkundige Mönche waren dabei, ihn zu verbinden. »Was sagen die Bojaren?«
    »Sie rätseln noch immer.« Rußlands höchster Priester faltete die Hände. »Das Volk will nach Alexandrowskaja sloboda pilgern und den Zaren um seine Rückkehr bitten. Auch wenn Iwan mit Blut herrscht – aber er herrscht! Ein Russe ohne Zar ist ein verwaister Russe.«
    Trottau verzichtete darauf, mit dem Metropoliten zu diskutieren, und rannte hinaus. Bevor er fortritt, mußte er noch mit den Blattjews sprechen.
    Aber dazu kam es nicht mehr. Vor dem Kloster stand die Reiterabteilung des Zaren bereit. Jeder der Männer hatte die Pferde gewechselt. Für Trottau stand eine schöne schwarze Stute im Schnee. Auf einem Packpferd war seine wenige Habe in Säcken verstaut. Daneben hockte auf einem knochigen Gaul Afanasi Lukanowitsch Sabotkin, der Leibeigene.
    »Aufsteigen!« brüllte der Offizier.
    Trottau zögerte. Xenia … dachte er. Sie wird warten und warten und vor Angst vergehen. Ich muß vorher mit ihr sprechen.
    Er wollte sagen, daß ihm sein Reitpelz fehle, aber da warf ihm Sabotkin den Pelz schon zu.
    »Idiot!« sagte Trottau laut. Er zog den Pelz an und schwang sich in den Sattel. »Es gilt,

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