Der Leibarzt der Zarin
den hingebungsvollen, weichen, weißen Mädchenkörper hatte.
»Deine Medizin von Licht, Luft und Sonne ist der Gipfel der Dummheit!« sagte der Zarewitsch in diesen Tagen zu Trottau. »Ein Mensch wie ich lebt durch die Liebe! Warum hast du mir das nicht verraten, Arzt?«
»Ich hielt Euch für zu jung, Herr.« Trottau sah hinüber zu dem Bett des Zarewitsch. Irina Grigorjewna, wie die Geliebte des Thronfolgers hieß, lag kichernd unter der Seidendecke. Sie biß von einer dicken blauen Weintraube die Beeren ab und spuckte die Kerne auf den Boden.
»Wenn mein Vater jetzt stürbe, wäre ich nicht zu jung, ein Reich zu regieren«, erwiderte der Zarewitsch finster. »Trottau, seit drei Wochen lebe ich erst wirklich …«
Er redet wie Xenia, dachte Trottau. Auch ihn befreit die Liebe aus dem Bann des Kremls und des Zaren. Sie alle flüchten in eine Traumwelt und merken nicht, daß sie doch nur die Hölle mit Rosen umkränzen.
»Was kann ich für Euch tun, Herr?« fragte er.
»Nichts, Arzt. Du sollst nur wissen, daß du dein blondes, blasses Vögelchen behalten kannst. Ich gönne es dir … Ich brauche keinen Arzt mehr. Geh!«
Trottau verbeugte sich und verließ den Zarewitsch. Er ging hinunter in die Unterwelt, aß bei den Blattjews Maiskuchen und eingelegte, gewürzte Gurken, half Igor, die Bären zu füttern, und gewöhnte sich langsam an die brummenden, riesigen, braunschwarzen Tiere, an Blattjews Lallen und die Furcht, die ständig zu Gast war: die Furcht vor dem Zaren, daß er von der Liebe seines Leibarztes zu Xenia erfahren könnte.
»Er hat Xenia nie gesehen«, sagte Massja einmal. »Immer, wenn er herunterkommt, verstecken wir sie. Er würde Xenia mitnehmen, denn er kennt kein Erbarmen.«
»Er wird Moskau bald verlassen«, tröstete Trottau sie. »Dann gehört der Kreml euch.« Er legte den Arm um Xenia. Sie lächelte ihn an; für sie gab es keinen anderen Gedanken als ihn. »Es wird Großes in Rußland geschehen, Freunde.«
»Ich weiß, Andrej.« Xenia legte den Kopf an seine Schulter. »Ich liebe dich …«
»Das ist nichts Großes, das ist ein Unglück«, brummte Massja. »Ich habe Angst. Wir sind nicht dazu geboren, glücklich zu sein.«
14
Der Winter kam über Nacht. Aus dem Osten heulte der Schneesturm heran, Moskau erstickte im Schnee. Im Kreml rannten die Diener herum und heizten die Kamine. Sie stellten Becken mit Holzkohlenfeuern in die Zimmer, hängten Teppiche vor die Fenster, verklebten jede Ritze.
Dem Rat des Arztes folgend, unternahm Iwan jetzt mit Marja lange Schlittenpartien in die Wälder, jagte Elche und Rentiere, Hermeline und Nerze, Zobel und Silberfüchse. Aber auch diese Ausflüge endeten meistens so, wie es zu Iwan paßte: Er inspizierte die Güter, ließ die Großbauern auspeitschen, weil sie – wie er sofort sah – zu wenig Abgaben gezahlt hatten, und zwei Großgrundbesitzer wurden an Ort und Stelle durch Peitschenhiebe getötet.
Ruhig, manchmal mit glühenden Augen, sah Marja zu.
»Gefällt es dir, Täubchen?« fragte Iwan.
Und sie antwortete: »Ja, mein Geliebter. Heißt es nicht, ein guter Zar ist ein strenger Zar? Du bist der größte, Iwanuschka …«
Aber dieses Glück war nur von kurzer Dauer. Um Iwan herum begann seine Macht abzubröckeln. Die Polen siegten, in Litauen und Livland wollte es nicht ruhig werden, und kurz vor dem Weihnachtsfest erreichte den Zaren die Nachricht, daß sein Freund Kurbski – der Wojewode von Litauen – in Dorpat eine heimliche Vereinbarung mit Rußlands Feinden getroffen haben sollte. Es war ein Schlag, der den Zaren niederwarf wie ein Hammerschlag.
Stundenlang saß er brütend in seinem Arbeitszimmer, schrieb einen Brief an Kurbski, zerriß ihn wieder, schrieb einen neuen und erklärte ihm darin das Selbstherrschertum des Zaren. Es war ein einmaliges Ereignis: Ein Zar wollte sich vor einem Verräter rechtfertigen.
… Bedenke dies und überlege: Der Obrigkeit widerstreben, heißt Gott widerstreben. Und wenn jemand Gott widerstrebt, so wird er ein Abtrünniger genannt, was die ärgste Sünde ist, schrieb Iwan mit zitternder Hand. Das Land wird regiert durch Gottes Barmherzigkeit – und durch Uns, seinen Herrscher, aber nicht durch Richter und Wojewodas. Und wenn Wir Unsere Wojewodas durch mannigfache Todesarten vernichtet haben, so besitzen Wir mit Gottes Hilfe eine Menge von Wojewodas auch außer euch Verrätern. Es steht Uns aber frei, Unsere Sklaven zu belohnen, und es steht Uns frei, sie zu strafen …
Als der Zar das
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