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Der Leibarzt der Zarin

Der Leibarzt der Zarin

Titel: Der Leibarzt der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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seinen Poren lag noch der süße Rosenduft von Marjas heißer, zitternder Haut.
    Trottau blieb bei dem Zaren, als dieser in einer silbernen Sitzbadewanne hockte und sich von einem Leiblakaien einseifen und abspülen ließ. Der Barbier stutzte Bart und Haare des Zaren, und danach begann Trottau, ihm den Rücken und die Brust zu massieren. Zuletzt massierte er vorsichtig, mit kreisenden Bewegungen die Kopfhaut des Zaren.
    Iwan saß zurückgelehnt im heißen Wasser, die Augen geschlossen, das Gesicht entspannt. Er erlebte zum erstenmal eine Kopfmassage, und ein Wonnegefühl durchrann ihn bis zu den Zehen. »In deinen Händen ruht ein Zauber«, sagte er. »Mach weiter, Trottau.«
    »Es ist genug, Herr.« Trottau trat von der silbernen Wanne zurück. »Bis jetzt war es eine Medizin. Mache ich weiter, wird es zur Qual.«
    Iwan erhob sich aus dem heißen Wasser. Der Leiblakai stürzte heran, hüllte den Zaren in vorgewärmte, dicke, wollene Tücher und trocknete ihn ab.
    »Trottau«, sagte der Zar dunkel, als sie wieder allein waren. »Wenn ich gleich aus diesem Zimmer trete, komme ich unter Ratten. Draußen warten sie – die Bojaren. Tausend Bitten, tausend Klagen, tausend Lügen … Rußland hat Anastasia umgebracht, meinen Vater, meinen Großvater, meine Geschwister … Aber ich werde nicht in die Knie gehen. Nicht vor denen da! Ich werde sie alle überleben! Alle! Ich werde Rußlands größter Zar sein. Wirst du mir dabei helfen, Trottau?«
    »Ja, Herr, wenn ich es kann.«
    »Es ist eine gefährliche Hilfe, Trottau. Niemand wird je davon erfahren. Du wirst in keinem Geschichtsbuch stehen, kein Historiker wird dich kennen, und du wirst in derselben Stunde sterben, in der ich sterben muß …«
    »Ich weiß, Herr.« Trottau verneigte sich. Er fror – die Erkenntnis, zu leben und doch sein Leben verloren zu haben, war ungeheuerlich. Ihm blieb als letzter Ausweg nur die Flucht. Aber wohin flüchten? Überall war Rußland, und bis er die Grenzen zu Polen oder Deutschland erreicht hatte, würden ihn die schnellen Reiter des Zaren längst eingeholt haben. Zu fliehen, bedeutete aber auch, Xenia mitzunehmen.
    »Was soll ich tun?« fragte er.
    »Geh zur Zarin.« Iwan lächelte breit. »Gib ihr ein Pulver, das sie schläfrig macht. In einer Stunde komme ich zu ihr … Ich will sie erobern, ohne selbst daran zu zerbrechen. Trottau, ich habe Sehnsucht nach diesem verfluchten, wundervollen Weib …«
    Über Trottaus Plan, der Zar solle Moskau scheinbar resignierend verlassen und damit den Bojaren einen tödlichen Schlag versetzen und das Mitleid des Volkes erringen, wurde nicht mehr gesprochen.
    Iwan beobachtete seine Umgebung mißtrauischer als je zuvor; die Zahl der Hinrichtungen häufte sich, und es genügte nur ein einziges Wort, das dem Zaren nicht gefiel, um den Kopf zu verlieren.
    Für Trottau allerdings änderte sich nichts. Er hörte sich stundenlang die Klagen des Zaren an, behandelte Marja, die jetzt unter angeblichen Zuckungen in den Beinen litt, ertrug ihre wilde Leidenschaft, wenn Iwan zur Jagd ritt, und war der Beichtvater des stets traurigen, blassen Zarewitsch.
    Gegen Mittag aber stieg Trottau immer hinab in die unterirdischen Gewölbe und holte Xenia wieder an die Sonne. Er lag mit ihr im Gras des kleinen Gartens und war in dieser Stunde der glücklichste Mensch der Welt.
    »Ich habe nie gewußt, wie schön es ist, zu leben«, sagte Xenia einmal. »Ich hatte mich ganz auf das Sterben vorbereitet …«
    »Du wirst nicht sterben, Xenuschka.« Trottau hörte jeden zweiten Tag ihre Lungen ab und wartete darauf, daß sich das Rasseln in ihrer Brust verminderte, daß die Krankheit vor der Sonne und der frischen Luft kapitulierte. Nach sieben Wochen schien es, als könne Xenia kräftiger durchatmen, ohne gleich von einem Hustenanfall geschüttelt zu werden. Sie wagte tiefe Atemzüge und küßte Trottau immer wieder, wenn der furchtbare Hustenreiz nicht eintrat. »Ich atme, Andrej … O Gott, mein Gott, ich kann richtig atmen!«
    Der Zarewitsch hatte es aufgegeben, Trottau und Xenia heimlich zu beobachten. Iwan Wiskowaty, der Kanzler des russischen Reiches, hatte ihm eine erste Geliebte zugeführt. Ein dralles Mädchen aus dem Volke war es, die Tochter eines Gerbers an der Moskwa. Sie war sich der Ehre voll bewußt, den scheuen Zarewitsch in die Geheimnisse der Liebe einführen zu dürfen, und sie tat es so vollendet, daß der junge Mann zwischen Essen und Trinken, Reiten und einigen Staatsempfängen nur noch Sinn für

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